Hungerkünstler?

Bachmannpreis: Autor aß seinen Text auf

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Philipp Weiß las und aß seinen Text "Blätterliebe"

Der Schweizer Lorenz Langenegger hat am Donnerstag, 25.6. im Klagenfurter ORF-Theater das Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis begonnen, das zum 33. Mal stattfindet. Die Erzählung "Der Mann mit der Uhr" wurde von der Jury freundlich, aber ohne Euphorie aufgenommen. Philipp Weiss, der erste der vier österreichischen Teilnehmer, las seine Erzählung "Blätterliebe" und aß den Text nach der Jurydiskussion auf. Karsten Krampitz polarisierte mit einem Auszug aus seiner Novelle "Heimgehen".

Langenegger erzählt von Viktor, der jeden Tag Stunden auf einer Parkbank eines Friedhofs verbringt. Eines Tages wird er von einem Mann nach der Uhrzeit gefragt. Er habe zwar selbst eine Uhr, aber er traue ihr nicht und fürchte, etwas zu versäumen. Es stellt sich heraus, dass gerade in der Firma des Mannes über dessen weitere berufliche Zukunft entschieden wird. Es kommt zu einem kurzen Gespräch, das Viktor einen Einblick in das Leben des anderen gibt. Dann läutet das Mobiltelefon des Nervösen, er strahlt auf und eilt davon. Und Viktor bleibt zurück, seltsam traurig.

Meike Feßmann fand den Text "etwas befremdend", es habe ihr aber gut gefallen. Paul Jandl, wie Feßmann Jury-Debütant, ortete eine fast Jean-Paul'sche Zuneigung zu Sonderlingen. Hildegard Keller hörte "ganz viel Schweiz" heraus, was ihr gut gefalle. Alain Claude Sulzer, der den Autor vorgeschlagen hatte, befand, es sei ein gutes Beispiel für eine Kurzgeschichte, "sie hat einen Anfang und einen Schluss". Juryvorsitzender Burkhard Spinnen verglich den Text mit einer Etüde, der die Kreativität fehle. Es sei ihm alles zu bekannt.

In "Blätterliebe" geht es um Oskar, einen Autor, der sich wegen undefinierbarer Schmerzen ins Spital begibt, nachdem er abends zuvor seinen Text fertiggestellt hatte. Er unterzieht sich einer Magenspiegelung, und der Arzt findet einen Blätterhaufen in seinem Inneren. Seine Freundin kommt zu ihm ins Spital, und am Ende ist sein Mageninhalt, der in einem Beutel neben dem Bett hängt, sein fertiger Text.

Sulzer meinte, der Text habe ihm Vergnügen bereitet. Mangold bemängelte, dass der Autor sehr viel in Gang gesetzt habe, um am Ende doch nur Papier zu produzieren. Der Text habe ihn aber "genervt". Karin Fleischanderl verteidigte "ihren" Autor, Weiss habe auf originelle und neuartige Weise einen Text über das Schreiben erschaffen. Keller meinte, es könnte ein hinterhältiger Text über den Bachmannpreis sein. Jandl konstatierte trocken: "Nichts ist so anstrengend wie Humor, den man nicht teilt." Die Theatralik der ausgestellten Mühsal des Schreiben sei "altmodisch", die Krankenhaus-Szenen Slapstick. Der Autor trug das Seine zu diesem Verdikt bei und aß nach der Diskussion "als notwendiger Bestandteil des Textes" denselben auf.

Humor brachte Karsten Krampitz mit dem Vortrag seines Textes "Heimgehen" in den Wettbewerb. Eingebettet in diese Geschichte ist die Problematik der Stasi und der "inoffiziellen Mitarbeiter" in der DDR. Ausgangspunkt ist eine offensichtliche Selbstverbrennung, für die ein angeblicher Ex-Spitzel verantwortlich sein soll. Dieser wird Jahrzehnte später interviewt und erzählt von seinem Opfer, einem Alkoholiker, der über die Kirche wieder trocken wird, eine Frau findet und eine neue Existenz aufbaut. Das Ende bleibt offen, da es sich um einen Auszug aus einer Novelle handelt.

Moderatorin Clarissa Stadler meinte nach der Lesung, wenn es einen Bachmann-Preis in der Kategorie "Charmanter Vortrag" gäbe, würde sie ihm den Preis sofort überreichen. Sulzer legte genau dies dem Text zur Last. Feßmann und Jandl kritisierten, die an sich interessante Spitzel-Problematik trete zu stark in den Hintergrund. Spinnen konterte, dass man den Text nicht so qualifizieren könne, da es sich nur um einen Auszug handle. Keller, die Krampitz nominiert hatte, befand, sie sei "sehr schnell hineingezogen worden". Sie habe die "emotionale und sachliche Nähe" überzeugt. Auch Mangold fand lobende Worte. Krampitz meldete sich überraschend zu Wort und erklärte, man vergesse dabei wohl die Unschuldsvermutung: "Mein Erzähler ist kein Spitzel."

Allgemeine Infos zum Wettbewerb finden Sie hier

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