Zensur

Die seltsame Stinkefinger-Moral der USA

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Der NME-Award wäre als friedvoller Event in die Geschichte eingegangen - wenn nicht die USA plötzlich mit der Moralkeule schwingen würde.

Kelly Osbourne durfte im Rahmen der amerikanischen NME-Awards einen Musikpreis überreichen. Die zuckersüße Tochter des großen Oz ist deutlich erschlankt, im Moment strahlend schön und auch besonders friedlich unterwegs - und bietet keinerlei Anlass für ein "Pieps". An der Geschichte ist bislang nichts Außergewöhnliches festzustellen.

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© oe24

(c) Matt Sayles

"Böse" Trophäe
Doch dann kam das Unheil: Nicht die Rockröhre selbst bietet plötzlich den Anlass zur eigentümlichen Zensur des Bildes, sondern die Vereinigte Presse, die in dem NME-Award ("New Musical Express") plötzlich das Unheil des Bösen sieht. Die kleine Messing-Trophäe hat nämlich die Gestalt eines sogenannten Stinkefingers. Und dieser ist als extremes Negativomen in Amerika äußerst unbeliebt. Stinkefinger-Handlungen, ob sie nun tatsächlich getätigt wurden oder ob Journalisten bloß glauben, in einer bestimmten Haltung einen sogenannten schlimmen Mittelfinger zu erkennen, haben in Amerika bereits desöfteren zur diktierten Zensur und zu öffentlichen Diskussion geführt. Die AP, American Associated Press, hat jetzt nämlich einfach kurzerhand beschlossen, das Photo von Kelly Osbourne und der Trophäe aus ihrem Bildangebot zurückzuziehen und das Bild mit einer Warnung versehen: "Obszöne Geste". Dabei ist auf dem Bild nicht wirklich etwas zu erkennen.

Eigentümliche Moralvorstellung
Abgesehen von dieser Aktion, von der man nicht unbedingt weiß, welchem menschlichen Antrieb sie entsprungen ist, gibt es seltsamerweise zahlreiche andere Bilder, die ähnlich sind, welche allerdings nicht von der AP zensiert wurden. Nun wird mit diesem Bild wieder einmal die gerade von Amerika so hochgelobte Pressefreiheit in Frage gestellt. Das publizistische Gesetz, wonach Journalisten oder Fotografen stets die Wirklichkeit abbilden sollten, wie sie ist, hat in den USA jetzt anhand dieses Fotos eine neue Welle der Entrüstung ausgelöst. Inwieweit die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt mit ihren plötzlich verschärften moralisierenden Geboten die Pressefreiheit einschränken, ist zu diskutieren, fest steht jedoch, dass Wirklichkeit und Wahrheit ja bekanntlich subjektiv ist. Und diese dürfte in Amerika doch andere Formen haben als in Europa.

Eine himmlische Familie vs. Teufelszeichen
Gerade die long-lasting-Serie "Eine himmlische Familie" zeigte vor, in wie weit Amerika bereits in konfusen Glaubensgrundsätzen verstrickt ist. Seltsame Keuschheitsgebote, übertriebene Werthaltungen und pedantische Überzeugungen: Die Religiösität und Prüderie des Vorzeigestaates der Welt nimmt langsam seltsame Formen an. Etliche andere Bilder, sei es George Bush mit hochgerecktem Arm (die Presse erkannte darin ein Teufelszeichen) oder Hillary Clinton: die Frage, welches Foto und warum genau dieses unbedingt zensuriert werden muss, wird die Öffentlichkeit sowieso - vielleicht Einher mit der Diskussion rund um die zunehmende Überwachung und der Kontrollwut des Staates, bald beantworten müssen, ehe die Dinge zu schnell voranschreiten.

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Kanzlertochter Selina zeigt den Stinkefinger
© Screenshot ATV

Hier zeigt Kanzler-Tochter Selina Gusenbauer, die Kelly Osbourne zum Mode-Vorbild nimmt, den Stinkefinger.
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