Gottschalk-Show

Kot-Raten bei "Wetten, dass...?"

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Ekel-TV ist zum neuen Quotengarant im Fernsehen geworden. Am Samstag servierte RTL und ORF gleichermaßen Unterhaltung am Limit.

Wien
Vielen TV-Zusehern kam bei diesen Szenen fast das Abendessen wieder hoch: Es ist Samstag, 22.18 Uhr, auf RTL: Im australischen Dschungelcamp wird der 77-jährigen Ingrid van Bergen ganz plötzlich unglaublich übel: Unter den Augen von Millionen von Zuschauern schleicht sich die überzeugte Vegetarierin zu einem Bach, versteckt sich hinter einem Baum. Sie steckt sich den Finger in den Mund, würgt, und übergibt sich schließlich. Der Grund: Kurz zuvor musste die spätere Dschungel-Königin Heuschrecken, Würmer und Känguru-Hoden essen.

Ekel-Wette bei Gottschalk
Wer jetzt angewidert umschaltete, hatte schlechte Karten: Denn ORF und ZDF zeigen Wetten, dass..?. Und auch da ist bereits angerichtet: Die Wettkandidaten Maik Wilsmann (35) und Claudia Dittel (33) aus Karlsruhe beugen sich über mehrere Haufen Tierkot, schnuppern, raten. Sie hatten zur besten Sendezeit gewettet, dass sie insgesamt 33 Tierkot-Haufen an ihrem Geruch erkennen und dem jeweiligen Zoo-Tier zuordnen können. Gottschalk spaziert mit den „Tierhaufen“ durchs Studio, Comedian Michael Mittermaier schnuppert an ...

Live dabei
10 Millionen Menschen in Deutschland und weitere 800.000 in Österreich sind live dabei. Spätestens da ist klar: Auch die Familiensendung hat den Ekel-Faktor für sich entdeckt: Moderator Gottschalk gab sich schon vor Sendungsbeginn kämpferisch: „Ich gönne RTL keinen meiner Zuschauer.“

„Bildungsauftrag“
Der TV-Star weist Kritik von sich: „Unsere Kandidaten müssen keine Sterne aus Tierkot fischen, sondern die richtige Tiersorte am Geruch erkennen. Damit nehmen wir unseren Bildungsauftrag ernst.“

Harsche Kritik
Angela Niebler, Mitglied des ZDF-Fernsehrates und des Europäischen Parlaments, nennt in ihrem Schreiben an ZDF-Intendant Markus Schächter die Wette eine „ekelerregende Entgleisung“. „TV Widerlich und eine derartige Kulturlosigkeit gehören nicht ins deutsche Fernsehen, und schon gar nicht ins öffentlich-rechtliche“, heißt es weiter in dem Brief.

Gottschalk wehrt sich
Thomas Gottschalk wehrt sich. Gegenüber der BILD sagt er: „Zum Ersten ist es sehr erfreulich, dass eine Europaabgeordnete sich die Zeit nimmt, Wetten dass..? zu gucken. Ihre Forderungen ans öffentlich-rechtliche Fernsehen decken sich exakt mit meinen. Im Kot-Bereich gehen sie offensichtlich auseinander. Denn wenn bei zwei Tierpflegern die Liebe zu ihren Schutzbefohlenen soweit geht, dass sie sogar deren Dung am Geruch erkennen können, ist das ein beruflicher Einsatz, den auch eine Europaabgeordnete anerkennend zu Kenntnis nehmen sollten.“

Und weiter: „Als Mutter müsste sie wissen, dass auch bei Kindern hinten wieder rauskommt, was man vorne reinsteckt. Und noch keine Mutter der Welt hat sich davor geekelt.“

Traum-Quoten
Klar ist: Die Zuschauer belohnen das Ekel-TV immer wieder mit Traumquoten. Dümpelte das Dschungel-Camp im Vorjahr in Österreich noch durchschnittlich bei 190.000 Zuschauern, schalteten die Finalshow am Samstagabend gar 262.000 Menschen ein.

Voyeurismus
Das neue TV-Phänomen trifft aber zunehmend auch auf heftige Kritiker: Schriftsteller Franzobel spricht von einem „gewaltigen Voyeurismus“, der ehemalige ORF-ORF-Intendant Teddy Podgorski ist im Gespräch mit ÖSTERREICH gar von einer weiteren Verschärfung überzeugt: „Die Zuschauer werden nicht die Stopp-, sondern die Weitertaste drücken und wollen in Zukunft noch mehr Grauslichkeiten sehen“.

Diesen Trend bestätigt auch der Blick auf internationale Formate, die bereits jetzt neue Standards setzen

Der ehemalige ORF-Indendant Teddy Podgorski über das Phänomen „Ekel-TV“ und die Zukunft des Fernsehens

ÖSTERREICH: Wie erklären Sie sich das neue Fernseh-Phänomen „Ekel-TV“?

Teddy Podgorski: Der Erfolg dieser Formate liegt eindeutig in der Faszination des Abstoßenden. Denn was den Zuschauer abstößt, fasziniert ihn auch im selben Augenblick. Eigentlich mag man gar nicht hinschauen, tut es dann aber doch. Und das uns überall nur mehr Mist serviert wird, ist ja schon normal.

ÖSTERREICH: Gibt im Fernsehen Grenzen für das, was gezeigt wird?

Podgorski: Nein, Grenzen gibt es da keine mehr und es wird noch schlimmer werden: Diese Entwicklung in Zukunft zu beobachten, wird noch sehr interessant werden.

ÖSTERREICH: Auch der ORF übertrug am Samstagabend die Ekel-Wette von Thomas Gottschalk. Schreckt auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk jetzt vor nichts mehr zurück?

Podgorski: Was soll der ORF dagegen machen? Die Verträge mit Gottschalk sind auf Jahre hin ausverhandelt. Und außerdem wird er froh sein, dass er Sendungen wie diese hat. Das ist nacktes Verzweiflungsfernsehen.

Fotos: AP/Winfried Rothermel, Getty Images

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