"Strandbadrevolution"

Rolling Stones, Sonnenöl & Revolte

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Diesem Buch verfällt man ab der ersten Seite. Auch wegen der vielen schrägen Details.

Abenteuer

„Auf der Strandbaduhr drehte sich die Zeit im Kreis, und ich begann zu grübeln. Hatte sich Heike verfahren? Oder hatte sie einen Unfall?“ Der 17-jährige Mick, der eigentlich Ernst heißt, aber irgendwie gerne Mick Jagger wäre, hat sich zu nächtlicher Stunde mit seiner Flamme im Strandbad verabredet – aber sie kommt nicht. „Plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke. Was, wenn Heike gar nicht weggefahren war?“ Sie könnte mit einer Freundin daheim sitzen und sich krumm lachen über den linkischen Typen, der tatsächlich geglaubt hatte, sie würde sich etwas mit ihm anfangen, spinnt Mick seine düsteren Vorstellungen weiter.

Anti-Spießer

Das mit den Mädchen ist eine Ebene in diesem Sommer in den frühen Siebzigerjahren, den Kurt Palm in seinem neuen Roman Strandbadrevolution schildert. Fünf Freunde sind sie, und sie wollen alles, nur keine Spießer werden. Mick trägt die Haare lang, gelegentlich auftoupiert, dazu alte Unterhemden seines Großvaters. Es sind die frühen Siebzigerjahre, und vom Strandbad in der österreichischen Provinz aus planen die Freunde die Revolution. Sie lesen die Volksstimme, aber wollen etwas Richtiges machen.

Die erste Aktion geht allerdings gründlich schief. Übereifrig sprayt einer der Freunde unabgesprochen einen Spruch auf die Kirche im Ort: „Ora et deflora“ – noch dazu sitzt das Latein nicht richtig und er schreibt „deflora“ mit „v“ …

Familienbande

Zunehmend gerät alles durcheinander. Palm erzählt mit viel Humor und Ironie, die Figuren wachsen einem ans Herz – wer die Siebziger erlebt hat, fühlt sich sofort irgendwie zu Hause in dem Buch. Da ist Micks Familie – der Vater ein Arbeiter: „aber er interessierte sich mehr für Garagentore als für den Klassenkampf“. Die Mutter jagt Sonder­angebote und befüllt ihre Tiefkühltruhe mit 40 Bechern Schlagobers, halben Schweinen oder zig Familienpackungen Eis. Für die Fahrt in den Familienurlaub nach Kroatien (damals: Jugoslawien) hat der Vater einen alten Opel Kapitän hergerichtet. Dann gibt’s den Großvater, dem Mick heimlich Schnaps bringt, und sich dafür dessen alte Unterhemden nehmen darf, siehe oben.

Heiße Tage

Dazu die heißen, scheinbar endlosen Sommertage. Mick sollte für die Französisch-Nachprüfung lernen, aber Musik und Strandbad gewinnen immer. Beim Lesen wird man Teil dieser Zeit, will Jimi Hendrix und die Rolling Stones hören, Extrawurstsemmeln essen, mit einem klapprigen Rad ins Bad fahren. Palm schafft es, ein Gefühl der Sentimentalität für die Oberfläche eines solchen zu erzeugen, das er aber immer wieder durchbricht. Mit Ernst, aber auch mit viel Witz, Ironie, schrägen Szenen.

Immer wieder bringt das Buch zum lauten Lachen. Es ist unterhaltsam, aber zugleich viel mehr. Unbeschwerte Ferien, könnte man meinen – aber der Sommer steuert auf eine Katas­trophe zu. Sie kündigt sich an, zwischen den Zeilen. Nichts ist am Ende unbeschwert. War es auch nie.

Angela Sellner

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