Wiener Festwochen

"Desdemona" zwischen Shakespeares Zeilen

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Toni Morrison, Rokia Traore und Peter Sellars brachten Fortsetzung des "Othello".

Was würde Desdemona dazu sagen? Vor zwei Jahren hat US-Regisseur Peter Sellars bei den Wiener Festwochen Shakespeares "Othello" inszeniert - heuer steht die emanzipatorische Fortsetzung auf dem Programm. Am Sonntag, 15.5., ließen die Schriftstellerin Toni Morrison, die Musikerin Rokia Traore, die Schauspielerin Elizabeth Marvel und Regisseur Sellars im Theater Akzent die Frau des Othello aus dem Jenseits zu Wort kommen - als musikalisch-literarische Collage "Desdemona", die den Sprachlosen zwischen Shakespeares Zeilen eine Stimme geben will. Viel Zuspruch für einen kraftvollen, aber recht konventionellen Abend.

Nobelpreisträgerin Morrison
Toni Morrison hat sich mit Romanen wie "Sehr blaue Augen" oder "Menschenkind" den Status der Grande Dame der postkolonialen, feministischen Literatur erschrieben - und selbst bei einem so typischen "Dead white male" wie William Shakespeare ist die US-Autorin fündig geworden. Denn Desdemona heiratet nicht nur den schwarzen Soldaten Othello, sie erwähnt auch eine afrikanische Kinderfrau namens Barbary (was freilich nichts anderes ist als eine abschätziges Bezeichnung Afrikas), die ihr das Lied von der Weide gesungen hatte. Mit ihr tritt Desdemona nun post mortem in einen Frauen-Dialog der Geschichten und der Musik.

Viel Musik

Elizabeth Marvel ist Desdemona , aber bisweilen ist sie (mit eindrucksvoll verstellter Stimme) auch Othello oder Emilia. Sie berichtet von ihrem Großwerden im engen venezianischen Adelshaus, von Othello, dem einstigen Kindersoldaten, hinter dessen offene Brutalität sie zu blicken vermeinte, rechtfertigt wieder und wieder ihre Liebe, die sie in den Tod gestürzt hat. Sie spricht auch mit Barbary - verkörpert von Rokia Traore, die zu Morrisons Text die Musik beigesteuert hat. Glasbehälter und Glühbirnen schmücken die schlichte Bühne als edles Konzertsetting für die eleganten Backgroundsängerinnen und die mit iPad von Mikro zu Mikro wechselnde Desdemona.

Bissig und anklagend, voller Ironie
Morrisons Text ist bissig und anklagend, vor allem aber voller Ironie. Desdemona, die unterdrückte Frau? Die große Liebende? Die rassistisch Verblendete? Sicher kann man nicht sein. Klar ist, die Geschichte der Sklaverei, des Krieges und der weiblichen Unterdrückung steckt irgendwo zwischen Shakespeares Zeilen. Sie zu erzählen, ist ein Unterfangen mit hohem Moralin-Risiko, dem Morrison nicht über die vollen zwei Stunden entgeht.

Aber da hilft die Musik. Abgesehen davon, dass es wohltuend ist, eine Sängerin wie Rokia Traore und ihr fantastisches Ensemble nicht unter dem Weltmusik-Label zu erleben, sondern als theatrale Figuren, sind es ihre sanften, zyklischen Melodien und eindringlichen Stimmen, die einem Stück, das sich sonst wohl als ziemliche Kopfgeburt den Ungehörten im großen Kanon der Weltliteratur gewidmet hätte, dringend benötigte Sinnlichkeit verleiht. Insgesamt: Ein schöner Weg, mit Shakespeare ins Gericht zu gehen.

"Desdemona" von Toni Morrison und Rokia Traore, Regie: Peter Sellars, mit Elizabeth Marvel, weitere Vorstellungen täglich zwischen 17. und 21. Mai, 19.30 Uhr, Theater Akzent; Wiener Festwochen; www.festwochen.at
 

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