220 Ermordete

Jetzt wird nach NS-Opfern gegraben

Teilen

Bei einem Bauprojekt wurden am Psychiatrie-Areal 220 Gräber entdeckt.

Riesiger Medienwirbel am Dienstag an der Psychiatrie in Hall. Auf dem Areal sollen 220 Euthanasie-Opfer der Nazis liegen: Allesamt behinderte Patienten, die zwischen 1942 und 1945 umgebracht wurden, weil sie als unwertes Leben galten.

Ein Gräber-Verzeichnis brachte Skandal ins Rollen
Den Schlüssel zum grausigen Geschichtsskandal hält der Historiker und Haller-Psychiatrie-Forscher Oliver Seifert mit versteinerter Miene in der Hand: ein vergilbtes und abgegriffenes dünnes Buch, das Gräberverzeichnis. "Ich habe es vor ein paar Monaten zufällig gefunden, und es gibt Aufschluss über die Lage des Friedhofs und die Zahl der Gräber." Fein säuberlich aufgelistet sind Namen der Ex-Patienten und Todesursache. Der geplante Ausbau der Haller Klinik wurde in Folge sofort gestoppt.

Plötzlich verfünffachte sich die Zahl der Toten
Zwei Fragen beschäftigen jetzt die Experten: Erstens, warum wurde 1942 der Anstaltsfriedhof erweitert? Ab Kriegsbeginn gab es jedenfalls plötzlich viel mehr Tote. Die Sterblichkeitsrate betrug 1935 noch vier Prozent, 1944 bereits 13 Prozent und ein Jahr später 21 Prozent. Allein im März 1945 starben über 30 Patienten. Die zweite Frage lautet deshalb: Warum stieg die Sterblichkeitsrate so unglaublich an, und wer sind die Leichen? Tod durch Verhungern könnte laut Seifert eine Ursache sein.

Landesregierung zerstörte 1963 wichtigen Akt
Das soll nun geklärt werden, aber auch die Politik hat Erklärungsbedarf: 1963 ist ein wichtiger Akt des Landesarchivs über die Verlagerung von Patienten im Zweiten Weltkrieg von der Landesregierung unter mehr als bedenklichen Umständen vernichtet worden. Das bestätigt auch Historiker Seifert. Landeshauptmann Günther Platter zeigt sich über den Gräberfund indes "zutiefst erschüttert" und "will dieses dunkle Kapitel der Geschichte sorgsam durchleuchten und aufarbeiten" und "nichts vertuschen". Die Totengrabungen starten im März und dauern drei Monate. Das Forschungsprojekt von Tilak, Land und Uni ist für zwei Jahre anberaumt.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.