Graz

Anwältin des 
Amokfahrers: 
"Kämpfe gegen Urteil"

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Alen R. wurde als Mörder verurteilt. Lebenslang. Experten üben Kritik.

Amokfahrer Alen R., (27), war bei seiner Todesfahrt in der Grazer Innenstadt voll zurechnungsfähig – so entschieden die Geschworenen. Die einstimmige Entscheidung deshalb: Lebenslange Haft wegen dreifachen Mordes und versuchten Mordes in 108  Fällen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Während das Urteil bei den Opfern Genugtuung auslöste, wird die Entscheidung von Alen R.s Anwältin Liane Hirschbrich heftig kritisiert. Aber auch andere Experten stellen das Rechtssystem in Österreich infrage, schließlich haben zwei von drei Gutachtern den Amoklenker als unzurechnungsfähig eingestuft.

Kritik. Gerichtspsychiater Reinhard Haller kritisiert deshalb im ÖSTERREICH-Interview: „In Graz haben letztlich Laien darüber entschieden, ob jemand ins Gefängnis oder in eine gesicherte psychiatrische Anstalt kommt. Beides sind Gefängnisse. In der Anstalt kann ich einen kranken Mann aber behandeln, im Gefängnis nicht.“

Reform. Auch Friedrich Forsthuber, Obmann der Richtervereinigung, fordert eine rasche Reform des Laienrichter-Systems. Forsthuber könnte sich vorstellen, dass bei Schwurprozessen, wie jenem in Graz, in Zukunft Geschworene gemeinsam mit drei Berufsrichtern die Schuldfrage klären.

Video zum Thema: Das Schicksal des Alen R. in der Hand von zwei Frauen

"Entscheidung fachlich falsch"

ÖSTERREICH: Wie man hört, hat Ihr Mandant sehr seltsam auf das Urteil reagiert.

Liane Hirschbrich: Er hat weder die Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe noch seine Tathandlungen verstanden. Seine einzige Sorge nach dem Urteilsspruch war, ob er die Strafe auch in Graz verbüßen kann.

ÖSTERREICH: Das war wirklich sein einziger Satz: „Kann ich in Graz bleiben?“

Hirschbrich: Ja, das ist korrekt.

ÖSTERREICH: Sie sind also weiter felsenfest davon überzeugt, dass Ihr Mandant nicht zurechnungsfähig ist.

Hirschbrich: Der gerichtlich beigezogene Obergutachter Professor Müller hat ihm eine schwere Geisteskrankheit bescheinigt. Die Geschworenen haben aber am Ende unter dem Druck der öffentlichen Emotionen gehandelt. Meiner Auffassung nach haben sie eine fachlich unrichtige Entscheidung getroffen.

ÖSTERREICH: Das Urteil ist also falsch?

Hirschbrich: Acht Geschworene, die juristische und medizinische Laien sind, haben die Fachmeinung mehrerer namhafter Experten verworfen. Und sie müssen ihre Entscheidung noch nicht einmal begründen.

ÖSTERREICH: Ihre Kritik richtet sich aber auch gegen Psychologen als „Experten“ bei psychischen Erkrankungen.

Hirschbrich: Sie sind keine Fachärzte für Psychiatrie. Diagnose und Behandlung psychiatrischer Erkrankungen obliegt nach wie vor Psychiatern und nicht Psychologen.

ÖSTERREICH: Mit Ihrer Breitseite gegen die Geschworenen haben Sie eine große Lawine losgetreten. Immer mehr Juristen drängen nun darauf, das jetzige System zu ändern.

Hirschbrich: Natürlich geht es jetzt um eine Reform der Geschworenengerichtsbarkeit. Auch heute in der TV-Diskussion Im Zentrum werde ich aufzeigen, dass sich acht Laien über die Gutachten renommierter Psychiater hinwegsetzen können.

ÖSTERREICH: Wie könnte eine Reform aussehen? So wie in Deutschland mit einer Großen Strafkammer, bei der Schöffen und Berufsrichter gemeinsam urteilen?

Hirschbrich: Bei einer Reform wird es wichtig sein, ­Berufsrichter in der Entscheidung mitwirken zu lassen.

ÖSTERREICH: Werden Sie beim Urteil gegen Alen R. Berufung einlegen?

Hirschbrich: Ich warte erst einmal auf die schriftliche Urteilsausfertigung und bereite dann die Nichtigkeitsbeschwerde vor.

Das große Interview mit Liane Hirschbrich 
sehen Sie am Dienstag, 20.15 Uhr,auf oe24.TV

Gerichtspsychiater Reinhard Halle: "Laien können nicht über eine Krankheit urteilen"

 

ÖSTERREICH: Sie haben massive Kritik am Verfahren gegen Alen R. geübt. Warum?

Reinhard Haller: Ich ­wehre mich dagegen, dass Laien in medizinischen Fragen die Letztentscheidung treffen müssen. Alen R. ist gefährlich. Darüber waren sich alle Gutachter einig. Auch ist klar, dass er bis ins Greisenalter gesichert werden muss. Aber in diesem Fall haben Laien darüber urteilen müssen, ob ein kranker Mann ins Gefängnis kommt oder in eine gesicherte therapeutische Anstalt.

ÖSTERREICH: Wo liegt der Unterschied?

Haller: Beides sind Gefängnisse. In einer therapeutischen Anstalt kann ich aber Behandlungen durchführen, im Gefängnis nicht. Alen R. war schon vor dem Prozess in der Justizanstalt Göllersdorf. Jetzt muss er eben in eine normale Haftanstalt.

ÖSTERREICH: Was sollte geändert werden?

Haller: Ich bin ein Gegner der Sachverständigenjustiz. Auch geht es nicht um Schuldfähigkeit oder nicht. Es dreht sich um die Frage: Kommt jemand ins Gefängnis oder ins gesicherte psychiatrische System? Es muss im Vorfeld geklärt werden, ob jemand psychisch krank ist oder nicht.

(kor)

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