1. Teil

"Die Wahrheit über mein Leben"

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Im 1. Teil des ÖSTERREICH-Interviews gibt Natascha berührende Einblicke in ihr "neues" Leben. Und sie freut sich auf Weihnachten.

Das Gespräch mit Natascha Kampusch findet in entspannter Atmosphäre statt: Im Fotostudio von Inge Prader, die Natascha zuvor abgelichtet hat. Natascha fühlt sich gut, trinkt und isst - wie von den Ärzten empfohlen - in regelmäßigen Abständen kleine Portionen, um den Kreislauf stabil zu halten. Sie ist konzentriert, überlegt Formulierungen genau. Geistig wirkt sie jeder "normalen" 18-Jährigen mit Matura-Abschluss überlegen, zwischendurch scherzt sie mit ihrem Medienberater Stefan Bachleitner.

Der neue Alltag
Im ersten Teil des Gespräches erklärt Natascha ihr neues Leben in Freiheit. Und was Weihnachten jetzt – und in Gefangenschaft – für sie bedeutet (hat).

ÖSTERREICH: Frau Kampusch, wie geht es Ihnen gesundheitlich? Was sind die kleinen und größeren Probleme, die Sie nach Ihrer Gefangenschaft belasten?
Natascha: Ich habe einige Probleme mit den Zähnen, die werden derzeit behandelt. Bei einem Zahn war es wirklich schlimm, laut den Ärzten hätte das sogar lebensbedrohlich werden können ...

ÖSTERREICH: Was meinen Sie genau damit?
Natascha: Mir ist in der Gefangenschaft eine Plombe ausgebrochen und es hat sich ein Eiterherd gebildet. Die Zahnärzte haben sich gewundert, warum ich keine Schmerzen verspürt habe. Und meine Zähne ansonsten in einem relativ guten Zustand sind. Aber ich habe in der Gefangenschaft nach jeder Mahlzeit die Zähne geputzt und Zahnseide verwendet.

ÖSTERREICH: Sie hatten in der Gefangenschaft Zahnweh?
Natascha: Die Sache mit der Plombe hat weh getan, aber es kommt auf die Einstellung an, wie man mit Schmerzen fertig wird. Man kann Punkte im Gesicht drücken und Atemübungen machen. Entzündungen, wie diese, kann man so natürlich nicht bekämpfen.

ÖSTERREICH: Sie haben in den ersten Interviews nach Ihrer Flucht auch von Herzproblemen gesprochen. Haben Sie die noch?
Natascha: Mein Herz ist gesund, mir macht jetzt eher der Kreislauf zu schaffen. Mein Internist meint, ich muss alle zwei Stunden etwas essen, das ist ganz wichtig, um den Blutdruck stabil zu halten. Ich esse also fleißig Müsliriegel und ähnliche Dinge.

ÖSTERREICH: Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie auch Schmerzen in den Beinen haben?
Natascha: Ja, ich verstauche mir permanent meine Knöchel, obwohl ich flache Schuhe trage. Das strahlt dann über das ganze Bein aus und ich komme manchmal damit kaum aus dem Bett.

ÖSTERREICH: Wie kann man sich einen "normalen" Tag bei Ihnen vorstellen?
Natascha: An normalen Tagen werde ich permanent fotografiert. Nein, Scherz. Also ich wache ohne Wecker so gegen sechs Uhr früh auf, und dann richte ich alles für meinen Tag her. Meistens habe ich drei bis vier Termine, die viel Zeit in Anspruch nehmen, also auch Arzttermine. Ich fahre mit der U-Bahn, ich gehe einkaufen, was ich brauche. Gegen 20 oder 21 Uhr komme ich nach Hause und kümmere mich um meinen kleinen Haushalt. Sauber machen und solche Dinge.

ÖSTERREICH: Sehen Sie fern?
Natascha: Derzeit nur ORF. Info-Sendungen, aber auch Filme. Und in der Früh als Berieselung Zeichentrickfilme. Ansonsten höre ich lieber Radio, Ö1, FM4 und Ö3.

ÖSTERREICH: Kann man sagen, Sie wohnen alleine und sind für Ihr Leben selbst verantwortlich?
Natascha: Ja, aber ich werde betreut. Den Tagesablauf bestimmt mein Terminkalender, aber im Großen und Ganzen bestimme ich. Ich versuche jetzt den Leuten in meinem Umfeld, die es zwar gut mit mir meinen, aber manchmal doch etwas überfürsorglich sind, beizubringen, dass ich mehr Freiraum brauche. Ich schalte einfach das Handy ab. Und ich versuche die Gespräche, die mit mir geführt werden, zu reduzieren, weil mir das einfach zu viel ist. Das habe ich anfangs nicht zugegeben, mir immer höflich alles angehört, und dann ist mir davon schlecht geworden.

ÖSTERREICH: Wie ist der Kontakt zu ihren Eltern?
Natascha: Das Verhältnis zu meinen Eltern ist gut. Ich verbringe ab und an das Wochenende mit meiner Mutter, dann gehen wir zusammen einkaufen, für die ganze Woche. Ich kaufe gerne ein.

ÖSTERREICH: Was kaufen Sie?
Natascha: Naja, Lebensmittel, Reinigungsmittel und so, aber meiner Mutter ist das oft nicht so recht. Jedes Mal, wenn ich ein antistatisches Staubtuch kaufe, sagt sie, das braucht kein Mensch. Aber ich bezahle, also ist das auch meine persönliche Entscheidung. Manchmal sind wir eben doch noch in dieser Mutter-Kind-Situation drinnen.

ÖSTERREICH: Haben Sie eigenes Geld zur Verfügung?
Natascha: Ja. Aber ich kaufe mir relativ wenig. Kleidungsstücke pflege ich sehr. Ich gehe sehr sorgsam mit meinen Sachen um und möchte, dass sie 50 Jahre lang halten. Mein Spruch lautet: Qualität vor Quantität.

ÖSTERREICH: Haben Sie guten Kontakt zu Ihrem Vater?
Natascha: Ja, wir machen Tagesausflüge, ich übernachte auch bei ihm und seiner Frau. Derzeit ist unsere Familiensituation durch den ganzen Medienrummel aber natürlich etwas gespannt. Am schlimmsten war, dass meiner Schwester Claudia, der ich sehr verbunden bin, vorgeworfen wurde, dass sie Kinderfotos von mir geschossen hätte, die irgendwie bedenklich sein sollen.

ÖSTERREICH: Sie meinen, dass diese Fotos, die Sie als Kind in Reiterstiefeln und mit einer Federboa um den Hals zeigen, missverstanden wurden?
Natascha: Das weiß ich sicher, ich kann mich nämlich noch erinnern, wie sie geschossen wurden. Es sind normale Fotos, wie sie jeder daheim hat. Meine Schwester war damals oft reiten, sie ist heim gekommen, hat die Stiefel ausgezogen, ich bin aus der Dusche gekommen und bin hineingeschlüpft. Mit der Federboa habe ich immer gespielt, die hatte ich irrsinnig gerne, sie war so flauschig wie unsere Katzen. Ja, und da haben wir eben fotografiert. Für meine Schwester sind diese üblen Gerüchte jetzt äußerst belastend. Dabei verbindet mich gerade mit ihr sehr viel. Sie ist zwar 18 Jahre älter, aber es ist trotzdem fast so, als ob wir Zwillingsschwestern wären. Wir haben die gleichen Gedanken, das ist erstaunlich, obwohl wir jetzt acht Jahre getrennt waren.

ÖSTERREICH: Frau Kampusch, sprechen Sie mit Ihren Eltern oder Ihrer Schwester über die Zeit Ihrer Gefangenschaft? Oder wird das Thema ausgeklammert?
Natascha: Teilweise. Meine Eltern respektieren, wenn ich nicht darüber sprechen möchte, sie drängen mich nicht, sie sind auch nicht sonderlich neugierig. Vieles möchte ich ihnen eigentlich auch ersparen. Das sollten Eltern nicht wissen. Aber es ist kein unangenehmes Schweigen zwischen uns.

ÖSTERREICH: Was sagen Sie zu dem Gerücht, dass Ihre Mutter Ihren Entführer gekannt haben soll?
Natascha: Das ist an den Haaren herbeigezogen. Er selbst (Anmerk.: Wolfgang Priklopil) hat sich auch teilweise darüber lustig gemacht, dass so was behauptet wird. Und meine Mutter hat mir glaubhaft versichert, dass es nicht so ist.

ÖSTERREICH: Zu Weihnachten wird bei Ihnen die ganze Familie zusammen sein?
Natascha: Ja, es ist für uns das erste Weihnachten zusammen. Meine Eltern waren ja getrennt, da haben wir früher Weihnachten nicht zusammen verbracht. Aber es war immer schön, ich habe das Fest als Kind am 25. 12. immer bei meiner jetzt verstorbenen Oma verbracht. Da gab es einen Christbaum und noch einmal Geschenke, und Rotkraut und Kartoffelknödel. Und ja, diesmal werden wir einmal alle zusammen sein.

ÖSTERREICH: Werden Sie in Ihrer Wohnung feiern?
Natascha: Dazu ist die viel zu eng. Wir sind ja mittlerweile eine Großfamilie, 14 Leute mit der Frau meines Vaters. Es wird uns schon ein passender Ort einfallen.

ÖSTERREICH: Und es gibt heuer einen großen Baum?
Natascha: Ich weiß nicht, ob Plastik-Christbäume nicht die bessere Variante sind. Ich habe ursprünglich ja vorgehabt, Weihnachten mit zu organisieren, aber meine Familie wollte mich nicht belasten und das wird mir jetzt aus der Hand genommen. Hoffentlich komme ich noch dazu, Kekse zu backen. Ich glaube, das kann ich ganz gut.

ÖSTERREICH: Haben Sie während ihrer Gefangenschaft Weihnachten gefeiert?
Natascha: Ja, ich habe auf das Weihnachtsfest bestanden. Nicht auf die Geschenke. Dadurch, dass ich dort unten kein Fenster hatte und von den Jahreszeiten nichts mitbekam, habe ich mir selbst Dekorationen gebastelt, für Ostern, Weihnachten usw. Ich wollte mir ein bisschen Tradition bewahren, etwas zur Identifikation haben.

ÖSTERREICH: Was steht heuer auf Ihrer Weihnachtsliste?
Natascha: Nichts, wir werden uns heuer nichts schenken, wir wollen uns auf den Ur-Gedanken besinnen, dass wir uns einfach wieder haben. Ein Fest der Liebe. Aber ich werde den anderen vielleicht doch etwas schenken, etwas Kreatives,Selbstgemachtes .

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