Prozess ab Mittwoch

Krems-Drama: Der Tag der Abrechnung

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Notwehr oder Straftat in Uniform? Seit sieben Monaten spaltet eine Polizeikugel das Land. Auch das Urteil wird Reizthema sein – so oder so.

Die Nacht, als der 43-jährige Gruppeninspektor Andreas K. den Babygangster Florian P. (14) erschoss, dauert für ihn schon sieben Monate. Freunde des früher lebensfrohen Cops berichten, er habe mittlerweile die trüben Augen eines 200 Jahre alten Elefanten.

Seit 29 Wochen nur noch Innendienst. Privat mit der Familie auf Rückzug in einer kleinen Donaugemeinde reduziert, weil er nur dort vor Racheakten der Clique Florians, Reporter-Neugier und Vorverurteilungen einer kritischen Masse sicher ist (obgleich er die breite Masse wohl auf seiner Seite hat). Und über allem die Ungewissheit, ob er weiter als Kriminaler sein Auskommen finden wird oder als Krimineller die Uniform ausziehen muss – womit seine Existenz ruiniert wäre.

Prozess ab Mittwoch
Kommende Woche entscheidet sich das Schicksal des Beamten, der als „Todesschütze von Krems“ Schlagzeilen gemacht hat. Am Mittwoch beginnt am Landesgericht Korneuburg der Prozess gegen Andreas K. Staatsanwältin Magdalena Eichinger lastet ihm „fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Umständen“ an – und kann dafür theoretisch bis zu drei Jahre Haft fordern. Freitag wird der als souverän bekannte Einzelrichter Manfred Hohenecker das Urteil fällen. Und praxisnah reicht die Fantasie vom Freispruch bis zu einer bedingten Freiheitsstrafe. Ist die höher als 12 Monate, muss Andreas K. aus dem Polizeidienst ausscheiden.

Größter Trumpf des Angeklagten ist sein Top­anwalt Hans-Rainer Rienmüller, bekannt als bester Freund und Helfer von Polizisten in Not. Vergangenen November vertrat der Advokat den 33-jährigen Inspektor Thomas Z., der einem flüchtenden Einbrecher in den Hintern geschossen hatte: Freispruch. Im Dezember war Rienmüller vor Gericht an der Seite des 26-jährigen Stefan E. Der Streifencop hatte einem Motorraddieb nachgeballert – und ihn tödlich in den Rücken getroffen. Freispruch.

Geständnis
Schlechte Sieger sind laut. Gerichtsfuchs Rienmüller setzt auf die feine Klinge, geschärft durch Intellekt – und auf den überraschenden Ausfallschritt. Leise sagt er: „Mein Mandant wird ein Tatsachen­geständnis ablegen. Er hat zwei Mal geschossen. Einmal zur Warnung in die Decke – dann auf den Einbrecher. Und das Gericht wird entscheiden, ob er tun durfte, was er tat.“ Nachsatz: „Wann wurden Sie eigentlich zum letzten Mal von einem bewaffneten Angreifer bedroht – und wie haben Sie damals reagiert?“

Die Anmerkung führt direkt hinein ins Herzstück des Verfahrens, bei dem die Nacht zum 5. August 2009 noch einmal aufgerollt werden wird: die Verabredung des Jungkriminellen Florian P. mit seinem vorbestraften Freund Roland T. (17) zum Einbruch in den Kremser Supermarkt. Zum Coup werden die beiden vom 28-jährigen Rumänen Eugen L. begleitet. Der soll vorm Tatort Schmiere stehen, haut aber einfach ab, als seine Komplizen einen stillen Alarm auslösen und eine Funkstreife mit Blaulicht anrollt.

Gartenharke furchtbare Stichwaffe
Es ist der Beginn einer Tragödie: Denn Inspektor Andreas K. und seine Kollegin Ingrid G. erwischen die Jugendlichen in einem Vorraum in flagranti. Und die ergeben sich beim Kommando „Halt, Polizei – oder wir schießen!“ nicht, sondern zücken offenbar einen Schraubenzieher und eine Gartenharke.

Die Folge: Ein Warnschuss, dann jagt die Beamtin Roland T. eine Kugel durch die Beine. Ihr Kollege läuft dem 14-jährigen Florian in den Verkaufsraum nach – drückt dort aus etwa 1,8 Meter Entfernung ab und trifft den Jugendlichen tödlich in den Rücken.

„In Notwehr“, wird Verteidiger Rienmüller geltend machen. Denn laut FBI-Studien ist eine dreizackige Gartenharke in Nahdistanz eine furchtbare Stichwaffe. Und kurz vor der Schussabgabe sei Andreas K. durch ein Geräusch abgelenkt gewesen. Daher habe er nicht gesehen, dass sich der Einbrecher bereits von ihm abgewandt hatte. Staatsanwältin Eichinger wird drei Gutachter aufbieten, um „Fahrlässigkeit“ nachzuweisen. Der Grat zwischen Hero und Zero in Uniform ist schmal.

Zwei Tage Prozess - der Fahrplan
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Polizisten Andreas K. „fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ vor. Denn er habe erstens „das gerechtfertigte Maß der Verteidigung aus Furcht oder Schrecken überschritten“, als er auf Florian P. ballerte – und „überdies den Schuss viel zu hoch angesetzt“.

Drei Sachverständige – ein Gerichtsmediziner, ein Chemiker und ein Ballistiker – werden beim Prozess darlegen, wie der junge Einbrecher starb und welche Schlüsse sie aus Schmauchspuren und Schusskanälen ziehen. Weil der Angeklagte bei Einvernahmen widersprüchliche Angaben machte, wurde auch noch der Psychologe Roland Bugram beigezogen. Er gilt als Fachmann für „Post-Shooting-Symptome“. Unter den zwölf aufgebotenen Zeugen sind Einbruchskomplize Roland T., der mittlerweile zu 18 Monaten unbedingt verurteilt wurde, und Revierinspektorin Ingrid G., die auch abgedrückt hat, aber nicht angeklagt wurde.

Stimmung. Sicher kein Vorteil für den Angeklagten ist, dass Richter Hohenecker die Beischaffung des polizeiinternen Personalakts veranlasst hat. Denn so wurde bekannt, dass gegen Andreas K. schon einmal wegen Bedrohung ermittelt wurde – ergebnislos zwar, aber jetzt nicht mehr vertraulich.

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