Vor Gericht

Letzter Akt im Drama Kampusch

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Mit einem schnellen Freispruch endete am Montag der Prozess gegen Ernst H., Freund des Kampusch-Entführers, wegen Begünstigung.

Unschuldig Angeklagte klingen vor Gericht oft nach genagelten Schuhen: Sie sprechen laut, jeder Satz ist ein trotziger Knall. Der 46-jährige Kaufmann Ernst H. wirkte am Montag im Vergleich dazu erbärmlich.

Im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts versteckte er erst sein Gesicht hinter Notizzetteln. Dann flüsterte er so verschreckt, dass ihn Richterin Minou Aigner ersuchte, näher ans Mikrofon zu rutschen. Ab dem Moment war Ernst H. verständlich, aber nicht immer auch zu verstehen.

Der Kidnapper rief seinen Freund in Panik an
Unbegreiflich etwa für das interessierte Auditorium: Wie konnte Ernst H. 20 Jahre lang mit einem gemütsinvaliden Sonderling wie Wolfgang Priklopil befreundet sein, der 1998 ein zehnjähriges Mädchen entführte – aus Berechnung, anders nie eine Frau zu bekommen? Wie konnte er 3.096 Tage lang nie etwas von Natascha Kampusch in der Gewalt seines Kumpels merken? Und warum hat er die Polizei belogen?

Die letzte Frage ist strafrechtlich relevant – und sollte Montag vor Gericht geklärt werden. Hintergrund: Am Tag von Nataschas Flucht (23.8. 2006) rief der Kidnapper in Panik seinen Freund Ernst an und orderte ihn zum Donauzentrum: "Komm sofort. Ich zahle dir alle Verkehrsstrafen. Es ist ein Notfall.“

"Nataschas Entführer und Vergewaltiger“
Beim Treffen legte Priklopil eine Lebensbeichte ab, dann warf er sich vor einen Zug. Ernst H. hielt die Kripo zum Narren ("Wolfgang erzählte mir was von einem Führerscheinentzug“) – und korrigierte die Falschaussage erst drei Jahre später. Folge: Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter klagte Ernst H. wegen "Begünstigung“ des Verbrechers an.

Denn er hätte Priklopil bei der Polizei abliefern müssen und auch nicht alle Handys ausschalten dürfen, um eine Peilung zu unterlaufen. Verteidiger Manfred Ainedter kontert gleich zu Prozessbeginn mit einem "doppelten Notstand“: "Mein Mandant hatte Angst vor dem Kriminellen. Und später fürchtete er, in den Fall hineingezogen zu werden.“

Bei der Einvernahme durch die Richterin wird Ernst H. dann konkret. Gleich als Priklopil gegen 14.30 Uhr in seinen Wagen stieg, habe er gesagt: "Ich bin der Entführer und Vergewaltiger der vermissten Natascha Kampusch.“ Es ist die erste Aussage über sexuellen Missbrauch des Opfers; entsprechend das Raunen im Saal.

Dann berichtet der Angeklagte über eine fünfstündige Irrfahrt: "Priklopil hatte ein Stanley-Messer und einen langen Schraubenzieher dabei. Er gab die Kommandos. Er hat nichts gefordert, wollte nur reden.“ Als der Gangster um 20 Uhr ausstieg, sagte Ernst H.: "Jetzt kann ich nichts mehr für dich tun.“ Was nicht ganz stimmt. Denn Ernst H. alarmierte nicht die Polizei.

Er ist eben, wie er ist. Damit muss er – trotz Freispruch – weiterleben.

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