Justiz-Irrtum

39-Jähriger nach 711 Tagen Haft nun frei

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Er saß wegen versuchten Mordes. Ein Lügendetektor und ein Gutachten brachten Franz Ambrosi überraschend die Freiheit.

Zwölf Jahre in einem winzigen Loch in der Justizanstalt Graz-Karlau. Leben in einem Zellentrakt, in dem durchgehend der Fernseher läuft und man "fast nie ein deutsches Wort, sondern nur Geschrei hört“ - das hätte Franz Ambrosis Zukunft sein sollen. Doch der 39-jährige Niederösterreicher ist seit gestern frei und genießt nach 711 Tagen das schöne Wetter in einem Park. Der Grund, warum die Sonne für ihn so schnell nicht mehr scheinen sollte, liegt zwei Jahre zurück.

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© oe24
Das Opfer: Ambrosis Ex-Frau hatte nach dem Ehestreit Würgemale und Verletzungen an der Hand.

Vier Messerstiche
Am Abend des 28. Juni 2007 geriet ein Ehestreit zwischen Ambrosi und seiner Frau völlig außer Kontrolle. Er soll versucht haben, sie zu erwürgen, sie hat sich mit einem Küchenmesser gewehrt und ihn vier Mal in den Rücken gestochen. Acht Geschworene haben ihn am 17. Dezember 2007 für schuldig befunden. Er wurde wegen versuchten Mordes zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Ein neues Gutachten, das erstmals die Stichkanäle im Rücken des Elektrikers untersuchte, drehte den Spieß um.

Ambrosis Rechtsbeistand, die Juristin Karin Prutsch, legte aufgrund der neuen Erkenntnisse Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Wien ein - und bekam im Mai recht. Die Wiederaufnahme des Verfahrens wurde angeordnet. Gestern folgte Ambrosis sofortige Enthaftung. Die Begründung des OLG: „Aufgrund der Ereignisse, die zur Wiederaufnahme geführt haben, kann der dringende Tatverdacht nicht mehr aufrechterhalten werden.“

Lügendetektortest
Nicht nur das medizinische Gutachten entlastete den Verurteilten. Ein moderner Lügendetektortest, der am 22. Mai mit Ambrosi durchgeführt wurde, bestätigt: Der vermeintliche Täter ist nun das Opfer und spricht die Wahrheit.

Blut
Der blutige Ehestreit stellt sich jetzt so dar: Gegen 22.45 Uhr kam Franz Ambrosi nach Hause. Frau Ambrosi sah fern. "Ich habe sie gefragt, was sie sich anschaut. Sie hat gesagt 'nix', dann habe ich mir meinen Teil gedacht, hab mich umgedreht und bin aus dem Zimmer gegangen. Da habe ich es schon warm im Rücken gespürt“, erzählt der Ex-Häftling. „Warm“ war sein Blut, das ihm nach vier Messerstichen über den Rücken rann. Verzweifelt wehrte er seine bewaffnete Ehefrau ab.

Daher sollen die Würgemale am Hals der Frau stammen. Angesichts dieser neuen Situation hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ihr Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen. Nachdem das abgeschlossen ist, wird entschieden, ob Anklage gegen die Ex-Ehefrau oder gegen Franz Ambrosi erhoben wird. Wenn nicht, ist er für immer frei.

Die Expertin für Medizinrecht hat viele Ungereimtheiten des Falles aufgedeckt:

Die Grazer Juristin Karin Prutsch übernahm Ambrosis Fall, nachdem er abgeschlossen war.

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© Singer
Karin Prutsch, Foto: (c) Singer

"Eigentlich war es aussichtslos. Jeder in Graz-Karlau sagte, er sei schuldig“, erklärt die Spezialistin für Medizinrecht, "doch als das medizinische Gutachten da war, wusste ich, dass er unschuldig war und dass ich ihn da rauskriegen könnte.“ Viel zu viele Fragen seien beim ersten Prozess offen geblieben. Prutschs Beschwerden beim Oberlandesgericht wurden stattgegeben. Ambrosi ist - vorerst - frei.

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