Über die Entführung

Sahara-Geiseln - "Wir waren in Todesgefahr"

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ÖSTERREICH traf die beiden Sahara-Geiseln zu einem ausführlichen Interview in Hallein: Und sie erzählten über ihr Drama in allen Details.

Im Fernsehen wirken die befreiten Sahara-Geiseln Andrea Kloiber (43) und Wolfgang Ebner (51) oft menschenscheu und reserviert. Beim Interview mit ÖSTERREICH am Mittwoch in Hallein aber zeigt sich: Das Paar strahlt vor Dankbarkeit gegenüber seinen Rettern, möchte am liebsten die ganze Welt umarmen und jedes Detail seiner Entführung erzählen.

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Für den toughen Steuerberater Ebner zählen „seit unserem Drama andere Werte im Leben. Geld war zwar nie wirklich wichtig für mich, aber jetzt ist es mir völlig egal.“ Viel weiter oben in seiner Werteskala stehen Familie („Mein Sohn Bernhard hat sich großartig verhalten“), Heimat („Ich bin stolz darauf, Österreicher zu sein“) und Vertrauen („Wir wurden nicht im Stich gelassen“). Und weil sein Herz voll ist, erzählt er nicht nur von den Qualen der Gefangenschaft, sondern auch skurrile Einzelheiten: „Sie müssen sich vorstellen, in der Wüste gibt es ja kein Klo. Die Männer dort nehmen Sand statt WC-Papier – und nach dem Urinieren heiße Steine. Da verdampft jeder Tropfen sofort und die Unterwäsche bleibt sauber.“ Was besonders für eine Geisel wichtig ist, die in sengender Hitze kaum zum Waschen kommt.

Andrea Kloiber freut sich darüber, wenn Fremde das Interview – kurz – unterbrechen, um Mitgefühl zu beteuern. Und auch sie verschweigt nichts: Weder, dass die beiden Österreicher vor ihren Entführern als Ehepaar aufgetreten sind, noch ihre anfängliche Angst vor Vergewaltigungen, auch nicht, dass sie durch Menstruationsbeschwerden in der Wüste fast verblutet wäre.

Die größte Überraschung aber ist: Beide Opfer schließen nicht aus, wieder einmal einen Abenteuerurlaub in der Sahara zu machen.

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Lesen Sie am Freitag Teil 2 des Interviews: Ebners Faustkampf mit den Entführern.

ÖSTERREICH: Sie sind – nach 252 Tagen in Geiselhaft – seit einer Woche wieder frei. Kehrt langsam die Normalität zurück, oder werden Sie die Gedanken an Ihr Erlebnis nicht los?

Kloiber: Ich fühle mich wie auf einer langen Straße. Die Vergangenheit bis zu unserer Entführung ist eine Etappe. Dann gibt es einen Graubereich. Und was auf uns jetzt zukommt, macht mich unsicher. Ich bin den Rummel nicht gewöhnt. Ich möchte gern zurück in meinen Alltag und zu meinem Arbeitsplatz…

Ebner: ...aber ich sage ihr: Gehen wir’s langsam an, wir brauchen noch ein bisschen Zeit.

ÖSTERREICH: Nach der allgemeinen Freude über Ihre Befreiung gibt es – sogar in Ihrem Heimatort Hallein – auch kritische Stimmen über Ihren riskanten Abenteuerurlaub in der Sahara. Konkret: Was hatten Sie in einem Sperrgebiet Tunesiens verloren?

Kloiber: Wo wir waren, ist es nicht gefährlich.

Ebner: Die Sahara ist so groß wie Europa. Und da gibt es im Kosovo auch ein anderes Risiko als in Wien. Für alle, die sich auskennen, ist die Gegend, wo wir waren, ein Kinderspielplatz. Richtig ist: In der Nähe dort gibt es auch ein Sperrgebiet. Das heißt aber nur so, weil da schon öfter Touristen mit dem Auto hängengeblieben sind und dann mühsam gesucht werden mussten. Seither muss man für die Einfahrtsgenehmigung bezahlen. Richtig ist weiters: Auch wir wollten in dieses Sperrgebiet, weil es dort landschaftlich sehr schön ist – und haben eine Genehmigung beantragt. Dann hatten aber auch wir Probleme mit der Dieselpumpe. Also haben wir wieder umgedreht, um im Norden noch ein bisschen zu baden. Gekidnappt wurden wir 30 Kilometer vom Sperrgebiet entfernt, also Mitten in Tunesien.

ÖSTERREICH: Wie haben Sie die Entführung erlebt?

Ebner: Wir sind an diesem Freitag schon mit einem unguten Gefühl losgefahren. Aber nicht, weil wir plötzlich breite Reifenspuren im Sand sahen, wie eine Zeitung berichtet hat. Tatsächlich machten wir uns Sorgen, ob’s unser Landrover mit 132.000 Kilometern am Tacho und der stotternden Kraftstoffpumpe noch hinauf bis ans Meer schafft. Und auf einmal waren die Gotteskrieger da: 21 Mann in drei Autos, alle vermummt und mit Kalaschnikows.

ÖSTERREICH: Was denkt man sich in so einem Moment?

Kloiber: Ich hab die zuerst nicht zuordnen können, ich hab geglaubt, das ist Militär.

Ebner: Mein erster Gedanke war: Die wollen uns ausrauben. Auf eine Geiselnahme in Tunesien wäre ich nie gekommen. Tatsächlich haben die Mudschahedin ja offenbar selbst nicht gewusst, dass sie sich aus Algerien über die Grenze verirrt hatten. Und später haben uns sie uns erzählt: Sie waren auf eine Entführung von Touristen aus. Aber sie wollten Franzosen, Engländer, Amerikaner oder Juden schnappen. Von denen hätten sie eine Geisel sofort vor laufender Kamera geschächtet – und für die anderen dann ein Vermögen verlangt und vermutlich auch schnell bekommen. Unsere Pässe waren für die Gotteskrieger Pech.

ÖSTERREICH: Sie wurden anfangs angeblich für einen Spion gehalten.

Ebner: Ja, wegen der technischen Ausrüstung des Autos, aber das war rasch vom Tisch. Und sie haben uns auch bald gesagt: Ihr seid unsere Geiseln, wir wollen für euch Geld. Und ihr habt nur das Recht zu essen und zu trinken – sonst habt ihr keines.

ÖSTERREICH: Sie sprechen Arabisch?

Ebner: Einer von denen konnte Englisch. Dann haben sie das Auto komplett zerlegt und uns alles abgenommen. Sofort darauf ging es in einem Höllentempo zu einer Art Festung, die diese Typen im Süden Tunesiens haben – übrigens Mitten durch militärisches Gebiet, aber wir haben nicht einen Soldaten gesehen. Am Nachmittag noch haben sie dort unsere beiden Schäferhündinnen erdrosselt. Und am Sonntag darauf haben sie uns dann nach Algerien verschleppt.

ÖSTERREICH: Frau Kloiber, einer Bande von Fanatikern hilflos ausgeliefert zu sein, ist ein Albtraum für jeden Menschen. Aber hatten Sie darüber hinaus nicht auch noch ständige Angst vor sexuellen Attacken?

Kloiber: Nur in den ersten Tagen. Da habe ich mir schon gedacht: So viele junge Männer, was wollen die – und was dürfen die in der internen Hierarchie oder auch gemäß ihrem strengen Glauben? Aber es hat sich sehr bald gezeigt: Eine christliche, sprich unreine, Frau ist für die nicht einmal ein Mensch zweiter Klasse. Die haben mich nicht angeschaut und auch nie mit mir gesprochen. Wolfgang hat ihnen klargemacht, dass ich seine Frau bin und daher auch immer an seiner Seite sein muss. Als seine Freundin wäre ich separiert worden. Und das hätte ich mit Sicherheit nicht überlebt. Es war ja auch so schon grenzwertig.

ÖSTERREICH: Sie waren mehrmals schwer krank?

Kloiber: Ja, zwei Mal dachte ich, jetzt ist es vorbei, ich muss sterben. Beim ersten Mal – zirka 14 Tage nach unserer Entführung, die Bande hatte uns schon nach Mali gebracht – lag’s am Gazellenfleisch. Wenn man das nicht gewöhnt ist, kriegt man massiven Durchfall. Nach vier Tagen hatte ich einen gefährlichen Flüssigkeitsmangel, weil man ja auch das Wasser kaum trinken kann. Ich bin immer schwächer geworden und wollte nicht mehr leben, obwohl mir der Wolfgang immer wieder gut zugeredet hat.

Ebner: Unser Glück war, dass die Nummer vier in der Kidnapper-Hierarchie medizinische Kenntnisse hat. Er gab Andrea eine Infusion. Zwar mit einer so dicken Nadel, dass er in Österreich wegen Körperverletzung angezeigt würde – und in ihre durch die Austrocknung schon ganz dünnen Venen. Aber die Infusion hat ihr geholfen. Und mit der Zeit hat sie sich an das Gazellenfleisch gewöhnt, das übrigens gar nicht so übel schmeckt.

ÖSTERREICH: Und wie kam es zur zweiten schweren Erkrankung?

Kloiber: Da wäre ich an Unterleibsbeschwerden fast verblutet. Aber darüber sollten wir später sprechen. Denn um diesen Irrsinn zu verstehen, muss man erst einmal unsere Ausnahmesituation kennen.

ÖSTERREICH: Beschreiben Sie bitte einen Tag Ihrer Gefangenschaft in der Wüste.

Ebner: Die ersten sechs Wochen waren wir im schlimmsten Gebiet, das es in der Sahara überhaupt gibt. Man nennt es „Das Tote Dreieck“. Da hat es tagsüber 55 Grad im Schatten. Ich habe Herzrhythmusstörungen bekommen und bin dort 17 Mal kollabiert. Die haben mich immer ins Leben zurückholen müssen. Dann sind wir wieder wochenlang in Mali und Algerien herumgefahren, Tausende Kilometer. Und immer wieder haben die uns gesagt: „Wenn ein Hubschrauber kommt, we will kill you!“ Erst viel später habe ich mitbekommen, dass mit „you“ nur ich gemeint war. Denn Frauen und Kinder bringen Gotteskrieger nicht an; die werden schlimmstenfalls verkauft oder als Sklaven gehalten.

ÖSTERREICH: Unterm Strich 252 Tage in Todesangst?

Kloiber: Ja, wenn es keine Drohungen gab, gab es wahnwitzige Autofahrten. Der Fahrer hat es geschafft, einen Geländewagen in drei Tagen schrottreif zu kutschieren. Der hat in der Wüste bei keiner Querrinne, Wadi genannt, gebremst. Man ist in Angstschweiß gebadet, weil sich der Wagen jede Sekunde überschlagen kann. Aber irgendwann haben wir begonnen, die Typen auszulachen.

ÖSTERREICH: Wie haben Sie sich ernährt?

Ebner: In der ersten Zeit hatten die Entführer Depots in der Wüste. Da gab es gelbes Mehl, Reis und Nudeln. Dann wurde es immer härter. Ich glaube, zur Zermürbungstaktik der Behörden hat gehört, der Bande den Nachschub möglichst ganz abzuschneiden.

ÖSTERREICH: Psychologen nennen es das „Stockholm-Sydrom“. Hatten Sie je Verständnis für Ihre Peiniger?

Ebner: Nein, für uns sind das Verbrecher.

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