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Buch "Eine Wortmeldung"

Alt-Bundespräsident Fischer wählt Van der Bellen

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Appell für Demokratie, offene Gesellschaft und europäische Integration.

Alt-Bundespräsident Heinz Fischer wird bei der Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember den Grünen Alexander Van der Bellen wählen. Zugleich ruft Fischer in seinem am Freitag präsentierten Buch "Eine Wortmeldung" die Österreicher auf, zur Wahl zu gehen. Die Bundespräsidentenwahl sei eine wichtige Weichenstellung für das "geistige Klima" und die "politische Kultur" in Österreich.

 Aktuell besonders spannend fanden es die anwesenden Journalisten am Freitag freilich, dass Fischer im druckfrischen Text ankündigt, am 4. Dezember für Alexander Van der Bellen zu stimmen. Wobei er festhielt: "Die Bürger des Landes sind mündig genug, um ohne Wahlempfehlung auszukommen. Da dieses Wort umstritten ist, werde ich mich nicht auf das Terrain einer Auseinandersetzung um dieses Wort begeben."

Keine Wahlkampfaktivitäten für Van der Bellen

Auf die Frage, ob er Van der Bellen im Wahlkampf unterstützen werde, stellte Fischer auch klar: "Ich werde nicht ein Wahlkampfmitarbeiter von Van der Bellen sein, ich werde keine Wahlkampfaktivitäten im Einzelnen unterstützen." Beim ersten Wahldurchgang habe er seinen guten Freund "Rudi Hundstorfer" (SPÖ, Anm.) gewählt, ließ Fischer noch auf Nachfrage wissen: "Das ist die Wahrheit."

Im nun erschienenen Essay widme er sich Herzensthemen - Europa, Flüchtlinge, offene Gesellschaft, der Umgang mit politischen Mitbewerbern, all das "scheint mir gerade von besonderer Aktualität zu sein", sagte Fischer. Zugleich sei das Buch auch "die Gegelegenheit zu beweisen, dass man argumentieren kann ohne Aggression, ohne Verächtlichmachung, ohne störende Nebeneinlagen, ohne die Debatte auszuweiten bis zur Frage des Gesundheitszustandes eines Bewerbers", nahm er Bezug auf den Wahlkampf.

In diesem plädiert Fischer für "eine gewisse Zurückhaltung" und hat auch Empfehlungen für die aktuellen Bewerber ums höchste Amt im Staate parat: "Ich kann nur beiden Kandidaten sagen: Ein Bundespräsident, der so formuliert, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sich irritiert oder sogar attackiert fühlt, der wird keinen Erfolg haben. In Richtung des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer meinte er, dass dieser wohl "heute selber weiß, dass mancher zugespitzte Satz von ihm besser nicht gefallen wäre".

Fischer: "Konnte ein bisschen lockerer schreiben"

Offenbar genossen hat Fischer es auch, dass er "natürlich in diesem Essay ein bisschen lockerer schreiben" konnte: Als Bundespräsident "ist man doch immer in einer Situation, wo man weiß, man repräsentiert das Land. Aber ich kann jetzt formulieren, so, wie ich glaube, dass es meinem Schreibstil und meinen politischen Ansichten entspricht."

Seine SPÖ-Mitgliedschaft habe er nicht wieder aktiviert, sagte das ehemalige Staatsoberhaupt auf eine entsprechende Frage. Und er habe das auch nicht vor, denn an seiner Grundhaltung - für "Demokratie, Menschenrechte, die Rücksichtnahme auf die Schwächeren" ändere sich ohnehin nichts.

"Ich werde den Enkelkindern später einmal erzählen, warum ich nach sorgfältiger Überlegung bei der Bundespräsidentenstichwahl am 22. Mai 2016 für Professor Alexander Van der Bellen gestimmt habe, den ich seit langem kenne und zu dem ich Vertrauen habe." Und: "Ich werde durch meine neuerliche Stimmabgabe für Van der Bellen jene (Mit-)Verantwortung übernehmen, die dem Gedanken der Demokratie zugrunde liegt, für die wir alle Verantwortung tragen", schreibt Fischer in seinem 56-seitigen Essay zur Lage der österreichischen Demokratie, dem auch noch die Rede des Bundespräsidenten anlässlich seiner Verabschiedung im Parlament sowie ein Nachwort der Journalisten-Legende Hugo Portisch angehängt sind.

Fischers "Wortmeldung" ist ein leidenschaftlicher Appell für die Demokratie und eine offene Gesellschaft, für soziale Gerechtigkeit, Toleranz und die europäische Integration, zugleich ein Aufruf gegen Populismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. Österreichs Demokratie sei heute "viel stabiler, als das in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen der Fall war. Aber sie ist nicht unzerstörbar", warnt Fischer. "Sie darf nicht durch eine hasserfüllte Sprache, durch die Erfindung von Sündenböcken, das Schüren von Emotionen oder durch einen sorglosen Umgang mit der Verfassung und dem Rechtsstaat in Gefahr gebracht werden."

Populismus dürfe den Parlamentarismus nicht beiseite schieben. "Eine populismusdurchtränkte Schlagwortdemokratie wäre eben nicht die beste Demokratie", so der ehemalige Bundespräsident. Dies gelte in Fragen zur Europäischen Union, aber auch bei anderen aktuellen politischen Themen. "Die EU war und ist ein Friedensprojekt und als solches - trotz aller Probleme - unentbehrlich." Eine Aufsplitterung Europas wäre gefährlich und unklug. "Daher ist es wichtig, einen Bundespräsidenten und eine Bundesregierung zu haben, die dem europäischen Projekt mit entsprechendem Verständnis und mit positiver Energie gegenübersteht."
 

Kritik an Hofers EU-Kurs - ohne namentlich Nennung

Ohne namentliche Nennung übt Fischer Kritik an FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer: Der Bundespräsident sollte ein "europäischer Teamspieler" sein und mithelfen, bei den Österreichern und insbesondere bei der Jugend Verständnis für die historische Bedeutung des Projekts Europa zu wecken. "Er sollte gut und objektiv informieren und er sollte ein glaubwürdiger Europäer sein. Zu sagen, dass man nicht mehr ganz so eindeutig wie vor einem Jahr einen Austritt aus der EU in Erwägung zieht, ist zu wenig."

In der europäischen Flüchtlingspolitik fordert Fischer neue zeitgemäße Regelungen. Die Österreicher lobte er für ihr Engagement in Sachen Flüchtlingshilfe. "Jene Menschen, die sich im Vorjahr an Aktionen beteiligt haben und heute noch beteiligen, um in Österreich ankommenden Flüchtlingen zu helfen, und die Kraft und Zeit für Flüchtlinge aufgebracht haben, sollen sich dafür meines Erachtens weder rechtfertigen noch verteidigen und schon gar nicht schämen müssen. Ganz im Gegenteil: Schämen muss man sich für mangelnde Hilfsbereitschaft oder gar Feindseligkeit gegenüber Menschen in Not aus anderen Ländern oder Kulturen und ganz besonders für den Versuch, aus der Not von Menschen politisches Kapital zu schlagen!"

Gleichzeitig unterstreicht der Alt-Bundespräsident, dass andere europäische Staaten kein Recht hätten, Österreich in Bezug auf die Flüchtlingspolitik Vorhaltungen zu machen. Österreich habe im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mehr Asylanträge zugelassen als viele andere Länder. "Wenn sich die österreichische Bundesregierung unter diesen Umständen für das Jahr 2016 einen Richtwert von 37.500 Asylanträgen als Ziel gesetzt hat und wenn mit diesem Richtwert bei tatsächlichem Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen verantwortungsbewusst umgegangen wird, dann ist das eine Asylpolitik, die jedenfalls einen überdurchschnittlichen Beitrag zur gesamteuropäischen Asylpolitik leistet, ohne dass jemand behaupten kann, dass unser Land dadurch überfordert wird."

Auch zu weiteren aktuellen Themen nimmt Fischer Stellung: Im Zusammenhang mit der Mindestsicherung spricht sich das ehemalige Staatsoberhaupt für "mehr Augenmaß, mehr soziale Sensibilität und mehr Rücksichtnahme auf Grundgedanken unserer Zweiten Republik" aus. "Denn ich bin fest überzeugt, und es gibt auch viele historische Beispiele dafür, dass zwischen sozialer Symmetrie und stabiler Demokratie ein enger und wichtiger Zusammenhang besteht."

Die Burka- und Burkini-Debatte hält Fischer für ein "weit über seine reale Bedeutung hinaus aufgeblasenes Thema. Die Forderung nach einem gesetzlichen Verbot der Ganzkörperverhüllung bei der heutigen Bademode islamischer Frauen oder die Kopftuchdiskussion würde nicht den Weg in die Schlagzeilen der Medien und in Regierungssitzungen finden, wenn man sich zu den Grundgedanken einer offenen Gesellschaft bekennt. Frauen sollen selbst entscheiden, wie sie sich kleiden." In Österreich gebe es viele Elemente einer solchen offenen Gesellschaft. "Aber es gibt noch Nachholbedarf und vor allem müssen wir darauf achten, dass Errungenschaften auf diesem Gebiet nicht wieder verloren gehen", so Fischer.

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