Streit programmiert

ÖVP-Perspektiven bergen Sprengstoff

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Neuer rot-schwarzer Streit ist absehbar - Die ÖVP-Reformer rütteln an SPÖ-Grundwerten.

Das Perspektivenpapier der ÖVP liegt seit Montagvormittag offiziell vor. Neben den seit Sonntag bekannten Punkten wie Eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle und Familiensteuer-Splitting finden sich in dem 64 Seiten starken Papier noch andere konfliktträchtige Punkte.

Die Perspektivengruppe mit ihrem Leiter Josef Pröll plädiert unter anderem für die Einführung einer CO2-Steuer im Kfz-Bereich, eine Steuer auf internationale Devisen-Transaktionen (Tobin-Tax), eine Teil-Privatisierung der ÖBB, die Verbreiterung der Beitragsgrundlage in der Sozialversicherung und für eine Einschränkung der Kollektivvertragshoheit der Sozialpartner.

Kollektivverträge auf Betriebsebene
Konkret wendet sich die Perspektivengruppe gegen das bisherige Modell der Branchen-KVs. Die Lohnabschlüsse sollen gemäß den Ideen der schwarzen Reformer künftig auf Betriebsebene abgewickelt werden. Weitere Kampfansage an die Arbeitnehmer-Vertreter: Die Arbeiterkammer-Umlage soll gesenkt werden.

Weniger bezahlte Überstunden
Dazu kommt ein Vorschlag, der auf eine Reduktion der bezahlten Überstunden hinausläuft. Beim Modell der "Zeitwertkonten" sollen sich die Beschäftigten gewisse Ansprüche (wie Überstundenzuschläge) nicht auszahlen lassen, sondern in Form von "freier Zeit" ansparen. Diese Zeit soll dann für "vorgezogene Pensionen", für die Kinderbetreuung oder die Weiterbildung genutzt werden.

Niedrigerer Höchststeuersatz
In Sachen Steuerreform wird eine Senkung des Höchststeuersatzes und eine Abflachung der Tarifkurve eingefordert. Gleichzeitig will man das Steuersystem radikal vereinfachen.

Neue Finanzierung der Sozialversicherung
Ein wichtiges Projekt stellt für die Perspektivengruppe "eine systematische Umstellung der Beitragsgrundlagen in der Sozialversicherung" bei gleichzeitiger Senkung der Beitragssätze dar. Überhaupt tritt man dafür ein, dass vor allem im Bereich der Krankenversicherung die Finanzierung mehr über Steuern und weniger über Beiträge erfolgt.

Niedrigere Beiträge für Nicht-Raucher
Relativ wenig Neues gibt es ansonsten im Gesundheitsbereich. Neben dem Dauerbrenner einer Aufwertung der Hausärzte soll es auch Vorteile für gesundes Leben geben. Dran kommen sollen die Raucher. Vorgeschlagen wird ein Bonus bei den Versicherungsbeiträgen für Nicht-Raucher.

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Teilprivatisierung der ÖBB
Nicht ohne sind die Vorschläge der ÖVP für die Österreichischen Bundesbahnen. Die Bereitstellung des Schienennetzes und die Festlegung des Umfangs des Busnetzes sei in erster Linie staatliche Aufgabe, heißt es im Reform-Papier. Der Personen- und Güterverkehr sollte aber stärker als bisher mit privater Beteiligung abgewickelt werden.

CO2-Steuer für Individualverkehr
Für den Straßenverkehr wird die Einführung einer CO2-abhängigen Besteuerung vorgeschlagen, die sowohl die Normverbrauchsabgabe als auch die motorbezogene Versicherungssteuer betrifft. Weiters im Umwelt-Kapitel angeregt wird ein 10.000-Dächer-Programm für die Nutzung der Sonnenenergie.

Tobin-Tax auf Devisenverkehr
An der Steuerschraube drehen möchte die ÖVP bei internationalen Kapitalflüssen. Pröll und co. setzen sich für die Einführung einer europa- und weltweiten Devisentransaktionssteuer ein.

Förderung von Familien
Erfreulich für Eltern ist die ÖVP-Forderung nach steuerlicher Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Beim Familiensteuer-Splitting tritt man dafür ein, dass die Belastung pro weiterem Kind abnimmt. Bei Beziehern niedriger Einkommen will die ÖVP insofern nachhelfen, als der Staat die Sozialversicherungsbeiträge übernehmen könnte.

Zur weiteren Entlastung der Familien ist vorgesehen, dass Eltern mit Kindern bis zu zwei Jahren mit dem Mutter-Kind-Pass eine Gratis-Parkmöglichkeit in Städten bekommen. Die Gebühren für Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis oder das Eintragen des Kindes in den Reisepass sollen fallen.

Weiter auf der schwarzen Wunschliste steht der Kombi-Lohn.

Plädoyer für Mehrheitswahlrecht
Die Große Koalition scheint der ÖVP-Perspektivengruppe nicht recht zu schmecken. Sie liebäugelt mit der Einführung des Mehrheitswahlrechts. "Durch das bestehende Wahlrecht erzwungene Koalitionen könnten die Demokratie mehr schädigen als sichtbare Richtungsentscheidungen", heißt es in dem Programm - und: "Eine Debatte über die Optionen des Mehrheitswahlrechts ist eröffnet."

E-Voting will man bereits bei der nächsten EU-Wahl erproben.

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Weiter gegen Gesamtschule
Im Schulbereich zementiert sich die ÖVP ein. Eine "Einheitsschule" wird abgelehnt. Ein verpflichtendes Vorschuljahr wird vorgeschlagen, wenn schulpflichtige Kinder gewisse Mindeststandards nicht erreichen. Angedacht wird weiters ein fünftes Volksschuljahr für Kinder mit Förderbedarf statt eines frühzeitigen Aufstiegs in die Mittelstufe ohne entsprechende Kenntnisse.

Nach der Volksschule sollen alle Kinder mit einem Gratis-Laptop ausgestattet werden.

Zusätzlich soll es - einem niederösterreichischen Wunsch entsprechend - auch die Option geben, die ersten sechs Schulstufen gemeinsam anzubieten, wobei die letzten beiden Jahre bereits von Hauptschul- bzw. Gymnasiallehrern unterrichtet werden.

Kindergarten soll günstiger sein
Bei den Kindergärten spricht sich die Perspektivengruppe für ein kostenloses Angebot ab dem 4. Lebensjahr in der Vormittagsbetreuung und für eine soziale Kostenstaffelung bei der Nachmittagsbetreuung aus.

Am anderen Ende der Bildungsskala bekennt sich die Volkspartei entgegen ursprünglicher Erwägungen zum freien Hochschul-Zugang. Die Fachhochschulen sollen "massiv" ausgebaut werden. Bei Lehrlingen verlangt die Perspektivengruppe eine Mindestentschädigung von 500 Euro.

Eingetragene "Homo-Ehe"
Einem schwarzen Tabubruch gleich kommt der Vorschlag, eine eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle - ohne Adoptionsrecht - einzuführen. Die Fristenlösung an sich stellt man nicht in Frage, allerdings soll es einige Erschwerungen geben. So ist die Trennung von beratendem und abtreibendem Arzt sowie eine verpflichtende Bedenkzeit zwischen Beratung und Durchführung vorgesehen.

Österreich-Card für Zuwanderer
In der Zuwanderungspolitik will die Perspektivengruppe eine rechtzeitige Öffnung des Arbeitsmarkts innerhalb der EU plus ein Migrationsmodell für qualifizierten Zuzug wie in Kanada oder Australien mit dem Namen Österreich-Card. Bei mit Österreichern Verheirateten findet die ÖVP-Gruppe, dass diese einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten sollten.

Neutralitätsdebatte ist passé
Dem Vorschlag einer Untergruppe, die Neutralität abzuschaffen wird ebenso wenig Folge geleistet wie dem Wunsch nach Verlegung des Nationalfeiertags. Zum "Kern" der Neutralität gibt es ein ausdrückliches Bekenntnis. Dieser sei ein "unverzichtbarer Bestandteil unseres Selbstverständnisses".

Skeptisch bleibt man gegenüber dem EU-Beitritt der Türkei, der allenfalls einer Volksabstimmung unterzogen werden müsste. Angeregt wird ein "dritter Weg" im Sinne einer vernünftigen Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei ohne Mitgliedschaft in der Union. Unterstützt wird die Integration des gesamten Westbalkans in die Union.

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