Experten warnen

Sextäter erhalten legal Opfervideos

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Sexualstraftäter sollen nicht mehr in Besitz von Videos mit Opfer-Aussagen gelangen.

Kritik an der StPO-Novelle, die zu Wochenbeginn den Justizausschuss des Nationalrats passiert hat und die unter anderem die Opferrechte im Strafverfahren stärken soll, kommt von juristischen Prozessbegleiterinnen. Der Umstand, dass die Akteneinsicht nach kontradiktorischen Einvernahmen nicht eingeschränkt werden soll, sorgt für Unverständnis.

"Insbesondere für Opfer von Sexualdelikten ist es schwer verkraftbar, dass die Beschuldigten damit weiter in den Besitz einer Kopie der DVD mit der kontradiktorischen Einvernahme der Betroffenen gelangen können", gibt die auf Opfervertretung und juristische Prozessbegleitung spezialisierte Wiener Anwältin Barbara Steiner zu bedenken. Opfern von Sexualstraftaten würde mitunter mit der Veröffentlichung oder der Weitergabe des Materials an die Familie gedroht, meinte Steiner gegenüber der APA.

Zur Wahrung von Verteidigerrechten

Christian Pilnacek, Strafrechts-Sektionschef im Justizministerium, hält dem ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) entgegen. Der VfGH habe entschieden, dass in einem Ermittlungsverfahren Verteidigern bzw. Beschuldigten Kopien von Bild- und Tonaufnahmen zur Wahrung ihrer Verteidigerrechte ausgehändigt werden müssen, betonte Pilnacek am Mittwochnachmittag im Gespräch mit der APA. Anlassfall für die VfGH-Beschwerde war allerdings kein Sexualdelikt, sondern das Strafverfahren gegen Rapid-Fans nach Tumulten mit der Polizei am Westbahnhof, wo den Verteidigern das belastende Bildmaterial aus Überwachungskameras nicht übergeben wurde.

Veröffentlichungsverbot

Dass bei Sexualstrafverfahren mit den Aufzeichnungen von kontradiktorisch vernommenen Opfern Schindluder getrieben werden könnte, hält Sektionschef Pilnacek für ausgeschlossen. Um zu verhindern, dass Bildsequenzen auf Youtube oder ähnlichen Kanälen landen, sind die Anklagebehörden per Erlass dazu ermächtigt, zugleich mit der Übergabe des Materials ein Veröffentlichungsverbot auszusprechen, erläuterte Pilnacek: "Wer dagegen verstößt, muss mit einem Strafverfahren wegen verbotener Veröffentlichung rechnen."

"Wenn einer gestört genug ist oder wenn einem genug Kohle winkt, dann wird das möglicherweise zu wenig sein", meint dazu die ausgewiesene Opferschutz-Expertin Eva Plaz. Für die Wiener Anwältin, die unter anderem im Inzest-Fall von Amstetten die von Josef F. missbrauchten Angehörigen vertreten hat, ist diese Regelung nicht ausreichend. "Die Beschuldigtenrechte wären auch dann gewahrt, wenn man die DVD im Beisein des Verdächtigen und seines Anwalt im Verteidigerzimmer anschaut statt sie auszuhändigen", so Plaz gegenüber der APA.

Aussage in Abwesenheit des Täters

Bisher ist es gängige Praxis, dass Opfer von Sexualstraftaten im Ermittlungsverfahren im Beisein von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, aber in Abwesenheit des Beschuldigten möglichst schonend befragt werden. Ihre Aussage wird aufgezeichnet, die DVD wird später in der Hauptverhandlung abgespielt und als wesentliches Beweismittel der Entscheidung der Gerichte zugrunde gelegt. Den oft traumatisierten Opfern wird damit eine neuerliche Ladung und vor allem die direkte Konfrontation mit dem Täter erspart.

Könnte mehr Schaden anrichten

Um zu verhindern, dass Straftäter in den Besitz von Videos gelangen, wo ihre Opfer das ihnen Widerfahrene schildern, könnte allerdings das Institut der kontradiktorischen Einvernahme Schaden nehmen, befürchtet Opferschutz-Spezialistin Plaz. Es gebe bereits erste Fälle, wo Betroffene von einer kontradiktorischen Befragung Abstand nehmen, weil ihnen das Risiko zu groß ist, dass die DVD in die Hände des Täters gelangt, berichtete sie der APA. "Die Betroffenen müssen damit eine Befragung im Rahmen einer Hauptverhandlung über sich ergehen lassen. Damit wird der Opferschutz unterlaufen", stellte Plaz fest.
 

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