Unter Durchschnitt

Spindi schwänzt oft in Brüssel

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Spindeleggers Teilnahme an EU-Ministerräten ist unter Durchschnitt.

Nach Anschuldigungen von Tschechiens Ex-Außenminister Karl (Karel) Schwarzenberg, Österreich sei in Sachen EU-Politik zu wenig engagiert, gibt es erstmals eine Statistik, welche die österreichische Präsenz bei EU-Ministerräten - auf Ministerebene - untersucht. Eine Analyse des Politologen und Europarechtlers Stefan Brocza zeigt eine "ausgeprägte unterdurchschnittliche Repräsentanz Österreichs" in den EU-Ministerräten für "Auswärtige Angelegenheiten" sowie "Allgemeine Angelegenheiten". Das Außenministerium ortet diesbezüglich allerdings ein "fundamentales Missverständnis".

Die Langzeitanalyse Broczas belegt, dass Österreich ab dem Inkrafttreten des Reformvertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 bis zum 30. Juni diesen Jahres in nur 38,46 Prozent der Fälle im EU-Ministerrat für "Allgemeine Angelegenheiten" durch einen Minister vertreten war. Zum Vergleich: Mehr als doppelt so oft haben etwa zuständige Minister aus Finnland (76,92 Prozent), Schweden (84,62 Prozent) oder Tschechien (je 87,18 Prozent) ihren Weg nach Brüssel gefunden. Österreich erfülle damit nicht einmal den Durchschnitt aller EU-Mitgliedsländer, der bei rund 67 Prozent liegt, kritisierte Brocza, der Lektor an der Universität Wien und Salzburg ist. Teilnahme-Spitzenreiter auf Ministerebene sind Litauen (knapp 95 Prozent), Irland und Bulgarien (rund 92 Prozent). Mit je 15 Prozent sind Portugal und Polen weit abgeschlagen.

Vertreter nahmen Teil
Freilich bedeutet dies nicht, dass Österreich in den Räten gar nicht vertreten war. Vielmehr wurde Außenamts-Staatssekretär Reinhold Lopatka als Vertreter für Außenminister Michael Spindelegger (beide ÖVP) in die EU-Hauptstadt entsendet. Eine "konsequente und längerfristige" Vertretung durch einen Staatssekretär - wie Brocza sie im Falle Österreichs ortet - sei rechtlich nicht gedeckt, meint der Politologe. Dem widerspricht der Verfassungsrechtsexperte Heinz Mayer: "Es ist rechtlich völlig in Ordnung und gehört zu den Aufgaben des Staatssekretärs, den Außenminister zu vertreten", so der Universitätsprofessor.

Ebenso argumentiert auch das Außenministerium, das die Berechnungen Broczas als "absurd" bezeichnet, denn sie würden auf einem "fundamentalen Missverständnis" beruhen. "Österreich war bei den Ratstagungen durchgehend durch ein Regierungsmitglied vertreten, sei es den Minister oder den Staatssekretär im Außenministerium. Die österreichische Teilnahmefrequenz liegt also bei 100 Prozent", heißt es in einer Stellungnahme an die APA. Die "deutliche Mehrheit" der EU-Mitgliedstaaten sei durch Europaminister bzw. -staatssekretäre repräsentiert. "Die Vertretung durch einen Staatssekretär entspricht also nicht nur ausdrücklich dem österreichischen Verfassungsrecht, sondern ist auch gängige Praxis im Rat der EU." Zudem hätten einige der Sitzungen des Rat für Allgemeines terminlich mit dem Ministerrat in Wien kollidiert, in der Spindelegger auch in seiner Funktion als Vizekanzler teilnimmt.

Vergleich hinkt
Auch der Vergleich mit einigen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland, hinke, so das Außenamt. So weise Deutschland in Broczas Statistik eine relativ hohe Teilnahme auf Ministerebene auf, weil dort die Präsenz des "Staatsministers" (derzeit Michael Georg Link, früher Werner Hoyer) gezählt wurde. Er sei aber "kein Minister" und würde "rangmäßig unseren Staatssekretären entsprechen".

Brocza interpretiert die niedrige Teilnahmefrequenz des Außenministers als "Missachtung europäischer Gepflogenheiten" und als "politisches Desinteresse", vor allem seitens des Außenministers. Beim Rat für Allgemeine Angelegenheiten, dessen Rolle als "zentrale Koordinierungsstelle aller EU-Politikbereiche" der Wiener hervor streicht, sei dies besonders "schlimm". Tatsächlich werden im Rahmen dieses Rates EU-Gipfeltreffen vorbereitet und zentrale Themen wie die langjährige Finanzplanung und die Erweiterungspolitik debattiert. Die Teilnahmefrequenz habe auch über die Zeit "massiv abgenommen", so der Politologe. Lag der Ministeranteil im Rat Allgemeine Angelegenheiten im Jahr 2010 noch bei 80 Prozent, sei dieser 2011 auf rund 33 Prozent und im Jahr 2012 sogar auf null Prozent gefallen.

Unter Schnitt
Die österreichische Beteiligung (auf Ministerebene) beim Rat für Auswärtige Angelegenheiten, der sich primär mit der klassischen Außenpolitik beschäftigt, liegt dem Experten zufolge bei 71,74 Prozent und damit ebenso unter dem Schnitt der Mitgliedsstaaten (78,74 Prozent). Im direkten Vergleich verliert Österreich auch hier gegen Tschechien, dessen Präsenz auf Ministerebene bei 100 Prozent liegt, Platz 2 und 3 gehen an Litauen (knapp 98 Prozent) und Belgien (rund 93 Prozent). Schwarzenberg hatte kürzlich kritisiert, dass Spindelegger die Agenden seines Ministeriums zu einem "großen Teil" an seine Staatssekretäre abgegeben habe. Ihm sei die Innenpolitik wichtiger, meinte der tschechische Ex-Außenminister, der lange Zeit in Österreich lebte. Spindelegger und Kanzler Werner Faymann (SPÖ) verwiesen daraufhin auf vermeintliche "Nickerchen" Schwarzenbergs bei EU-Sitzungen.

Kritik von den Grünen
Der Grüne Abgeordnete Karl Öllinger, der im Juli eine parlamentarische Anfrage zum Thema "Teilnahme an den Sitzungen und Arbeitsgruppen des (Minister-) Rats der EU in den Jahren 2010 bis 2012" stellte, erklärte, dass die Bedeutung der Sitzungen in Brüssel angesichts der Krise zugenommen hätten. Es sei deshalb "selbstverständlich besser", durch einen Bundesminister anstatt eines Staatssekretärs vertreten zu sein. "Das ist eine Frage der Prioritäten", Spindelegger habe diese offensichtlich innenpolitisch gesetzt, so Öllinger.

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