Vorzugsstimmen

Van der Bellen löst Ticket für Wien

Teilen

66-jähriger Ex-Bundessprecher erringt somit Direktmandat.

"Go, Professor, Go" - So lautete ein T-Shirt-Slogan von Fans des Vorzugsstimmenkandidaten Alexander Van der Bellen im Wiener Wahlkampf. Nach Auszählung der letzten Wahlkartentranche steht nun fest: Der Ex-Bundessprecher hat das schier Unmögliche tatsächlich geschafft und sich mittels Vorzugsstimmen vom unwählbaren 29. auf Platz 1 der Landesliste vorgeschoben. Damit kann der 66-Jährige in das künftige Stadtparlament einziehen - wenn er denn will. Diese Entscheidung macht Van der Bellen allerdings vom Zustandekommen einer rot-grünen Regierung abhängig. Andernfalls müsse er sich noch mit der grünen Spitze beraten.

Van der Bellen überrascht
Einigermaßen überraschend kommt Van der Bellens Vorzugsstimmenerfolg insofern, als er selbst kaum daran zu glauben schien. "Es ist sehr schwer, aber nicht unmöglich - ein ziemlicher Hammer", gab er sich im Sommer noch verhalten optimistisch. Präsentiert als Zugpferd hatten ihn die Wiener Grünen just Ende Juni, als die parteiinternen Bezirkswickel gerade am Höhepunkt waren. Im Wahlkampf selbst war die graue Politeminenz - zumindest medial - bis zuletzt wenig präsent.

Sollte Van der Bellen sein Mandat annehmen und ins Stadtparlament einziehen, wäre das seine Premiere im Rathaus. Überhaupt startete der gebürtige Wiener seine politische Karriere recht spät. Entdeckt wurde der Volkswirtschaftsprofessor vom grünen Urgestein Peter Pilz. 1992 kandidierte er für die Grünen für das Amt des Rechnungshofpräsidenten, 1994 wurde er Nationalratsabgeordneter. Drei Jahre später trat er schließlich sein Amt als Bundessprecher an - damals mit dem Ziel, "die Partei endlich einmal von dieser existenzbedrohenden Vier-, Fünf-Prozent Marke wegzubekommen".

Lange Karriere
Im Laufe seiner elfjährigen Funktion als Bundessprecher ist Van der Bellen dies - neben der strukturellen Konsolidierung einer bis dahin stark zerstrittenen Bewegung - auch gelungen. Stand die Partei zu Beginn gerade einmal bei 4,8 Prozent, überholten die Grünen bei der Nationalratswahl 2006 mit elf Prozent knapp die FPÖ und wurden drittstärkste Kraft im Land. Dies war sein größter Erfolg. Beim Urnengang 2008 verlor die Ökopartei Stimmen, worauf der Professor das Handtuch warf, als Sprecher für Internationale Entwicklungen und Außenpolitik jedoch weiterhin im Parlament werkte. Seine womöglich größte politische Niederlage erlitt Van der Bellens im Jahr 2002, als die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen platzten.

Geboren wurde der humorige Wirtschaftsprofessor am 18. Jänner 1944 in Wien als Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters. Aufgewachsen im Tiroler Kaunertal, absolvierte Van der Bellen das Volkswirtschaftsstudium in Innsbruck und unterrichtete als Uni-Professor sowohl in der Tiroler Hauptstadt als auch in Wien.

Was Van der Bellen auszeichnet ist sein - für Politiker eher ungewöhnlich - offener, sinnierender Stil. Seine längeren Nachdenkpausen bei Interviews sind fast schon legendär. Populär machte ihn seine Gabe, auch Andersdenkenden ernsthaft zuhören zu können und sein Humor mit Anflug von Ironie. Auch scheut sich Van der Bellen nicht, seinem Laster in der Öffentlichkeit zu frönen: Ohne Zigarette trifft man den Fußball- und Burgenlandfan kaum einmal an.

Auch als Vorzugsstimmenfischer in der Bundeshauptstadt gab der ehemalige Parteichef und mögliche künftige Gemeinderat weiter den Mann von Welt: "Wien als Groß- und Hauptstadt passt auch gar nicht in das Provinzschema. Es ist mehr. Deshalb werde ich weiterhin die 'Financial Times' lesen", sagte er Anfang Juli dem "Standard".

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.