SPÖ und ÖVP verhandeln nach längerem Stillstand wieder über die Einführung der Gruppenklage.
Einigung gibt es noch keine, berichtete Justizministerin Maria Berger (S) am Donnerstag bei den "Wilhelminenberg-Gesprächen". Kategorisch vom der ÖVP bzw. der Wirtschaft abgelehnt werde das von ihr ebenfalls vorgeschlagene Musterverfahren. Konsumentenschutzminister Erwin Buchinger (S) sprach sich für Gewinnabschöpfung z.B. bei irreführender Werbung aus.
Kompromiss Bergers
Das Musterverfahren sollte die Möglichkeit
eröffnen, Rechtsfragen, die für eine Vielzahl von Ansprüchen bedeutsam sind,
in einem Testprozess zu klären - bei gleichzeitiger Unterbrechung der
Verjährung der Ansprüche. Derzeit gibt es nur den freiwilligen
"Verjährungsverzicht", den aber viele beklagte Unternehmen verweigern. Die
automatische Unterbrechung der Verjährung bei Musterverfahren haben
Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer vehement abgelehnt. Berger
schlägt nun einen Kompromiss vor - nämlich die Erweiterung der
Unterbrechungstatbestände in der Zivilprozessordnung.
Mindestzahl von Klägern
Die Verhandlungen mit der ÖVP über
die Gruppenklage konzentrieren sich auf die Mindestzahl von Klägern und die
"Sorge der Wirtschaft, Gruppenklagen würden einer erhöhten Missbrauchsgefahr
unterliegen", berichtete Berger. Der derzeitige Vorschlag des Ministeriums
(in einem Mitte Mai vorgelegten neuen Entwurf) ist, dass 80 Personen
(ursprünglich waren es 50) gleiche Ansprüche gegen das gleiche Unternehmen
geltend machen müssen. Berger verwies auf den Arbeitsplan der Regierung,
wonach das Thema Gruppenverfahren bis Juli gelöst sein soll.
"Defizite kollektiver Rechtsdurchsetzung"
Die
Justizministerin hielt bei der Tagung zum Thema "Defizite kollektiver
Rechtsdurchsetzung" einmal mehr ein Plädoyer für die Gruppenklagen. Der
Zugang des Einzelnen zum Recht würde wesentlich verbessert - und
Schadensfälle, die eine Vielzahl von Personen betreffen, rascher und
kostengünstiger erledigt. Auch die Europäische Kommission trete in ihrem
Weißbuch zum Kartellrecht für eine leichtere Durchsetzung von
Schadenersatzansprüchen bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht - und
explizit Gruppenklagen - ein.
Irrführende Werbung
Buchinger ging auf andere Möglichkeiten
ein, "Defizite kollektiver Rechtsdurchsetzung" zu beheben. Anbieter, die
grob fahrlässig ungerechtfertigte Gewinne erwirtschaften, sollen diese
Gewinne nicht behalten dürfen. Eine "Gewinnabschöpfungs"-Regelung soll dafür
sorgen, das sich unseriöses Verhalten nicht lohnt. Buchinger geht es z.B. um
irrführende Werbung oder ungerechtfertigte Preiserhöhungen - in der Regel
"Bagatellschäden", die zwar für den Konsumenten gering ausfallen, aber in
Summe den Unternehmen beträchtliche Gewinne bescheren.
Andere Instrumente zur Diskussion
Neben der Gewinnabschöpfung
stünden auch andere Instrumente zur Diskussion, z.B. Geldbußen oder
Verbesserungen des beschleunigten Rechtsschutzes. Der Minister räumte ein,
dass noch "schwierige rechtliche Fragen" zu klären sind - z.B. wer
berechtigt sein soll, solche Sanktionen herbeizuführen (für Buchinger wären
die bewährten klagsbefugten Konsumentenschutzverbände geeignet), was genau
abgeschöpft werden soll unter welchen Voraussetzungen.
Um diese Fragen geht es in den Fachvorträgen bei den Wilhelminenberg-Gespräch. Dieser Dialog über Konsumentenschutzfragen im Wiener Schloss Wilhelminenberg wird heuer zum achten Mal von der Sektion Konsumentenschutz des Sozialministeriums und dem Justizministerium veranstaltet.