"Assistierter Suizid"

Sterbehilfe: keine Entscheidung nach vier Stunden Verhandlungen

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Eine Entscheidung haben die 14 Höchstrichter nach der öffentlichen Verhandlung nicht getroffen.

Wien. Knapp vier Stunden sind am Donnerstag im Verfassungsgerichtshof die Argumente von Gegnern und Befürwortern des Sterbehilfe-Verbots aufeinandergeprallt. Eine Entscheidung haben die 14 Höchstrichter nach der öffentlichen Verhandlung nicht getroffen. Die Befragung legte aber nahe, dass es allenfalls noch Zweifel am Verbot der "Mitwirkung am Selbstmord" gibt. Das Verbot der "Tötung auf Verlangen" stand nicht zur Debatte. Wann die Entscheidung fällt, ist offen.
 
Anders als in Deutschland ist in Österreich nicht nur die "Tötung auf Verlangen" strafbar. Auch wer andere beim Selbstmord unterstützt, muss mit sechs Monaten bis fünf Jahren Haft rechnen. Dies könnte sogar gelten, wenn jemand für einen Angehörigen eine Fahrkarte zum "assistierten Suizid" in die Schweiz kaufen würde, wie Strafrechts-Sektionschef Christian Pilnacek in der Verhandlung meinte. Ausjudiziert sei diese Frage aber nicht.
 
Dass sich die Verfassungsrichter in ihren Beratungen vor allem auf zweitere Bestimmung - also das Verbot des assistierten Suizids - konzentrieren, wurde gleich zu Beginn klar, beim Vortrag des für den Fall zuständigen Referenten Christoph Herbst. Die von ihm gestellten Fragen bezogen sich nämlich ausschließlich auf diese Strafbestimmung.
 
Dazu hatten die Antragsteller - darunter zwei Schwerkranke und ein Arzt - einen Vertreter des Schweizer Sterbehilfe-Vereins "Dignitas" als Auskunftsperson mitgebracht. Er argumentierte mit einer in der Schweiz rückläufigen Suizidrate und wies damit auch von der Regierung gegen eine Liberalisierung in Spiel gebrachte Missbrauchs-Bedenken zurück.
 
Allerdings mussten die Antragsteller im Lauf der Verhandlung einräumen, dass zwar die Zahl der Selbstmorde in der Schweiz niedriger ist als jene in Österreich (1.049 vs. 1.224 im Jahr 2017). Dies aber nur deshalb, weil die 1.009 Fälle von "assistiertem Suizid" hier nicht eingerechnet werden. Damit gebe es in der Schweiz "unterm Strich eine Verdoppelung" der Suizidrate durch die Sterbehilfe, wie der Chef des Verfassungsdienstes im Kanzleramt, Albert Posch, betonte.
 
Ganz genau wollte Verfassungsrichter Herbst von Posch wissen, wie das Totalverbot der Sterbehilfe mit der freien Willensentscheidung der Betroffenen vereinbar sei. Seine Erklärung, wonach ein Suizid irreversibel sei, überzeugte nicht unmittelbar, wie die Nachfrage des Höchstrichters zeigte, der darauf hinwies, dass dies auch für andere medizinische Entscheidungen gelte.
 
Als Beispiel hatte der Anwalt der Antragsteller Wolfram Proksch zuvor die passive Sterbehilfe genannt - also wenn etwa die Ernährungssonde eines Patienten entfernt wird, der nicht mehr selbst essen kann. Es sei nicht verständlich, warum das Überreichen eines tödlichen Getränks als "Mitwirkung am Selbstmord" bestraft werde, das Entfernen der Sonde aber nicht als "Tötung auf Verlangen", argumentierte Proksch für die Aufhebung der Strafbestimmung: "Der Sterbewillige entfernt sich die Ernährungssonde nicht selbst."
 
Verteidigt wurde die geltende Rechtslage dagegen von Strafrechts-Sektionschef Pilnacek. Er sieht einen "gerechten Ausgleich" zwischen dem Schutz des Lebens und der Autonomie der Betroffenen. Denn diese hätten die Möglichkeit, via Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bestimmte Eingriffe abzulehnen. Außerdem erlaube das Ärztegesetz eine Schmerztherapie bei Sterbenden auch dann, wenn sie den Tod beschleunigt.
 
"Wir haben ausreichend Möglichkeiten, um ein menschenwürdiges Sterben auf unseren Palliativstationen und anderen Stationen zu gewährleisten", sagte auch der von der Regierung nominierte Palliativmediziner Herbert Watzke. So könne ein Patient mit fortgeschrittener Erkrankung im Fall einer zusätzlich auftretenden Infektion die Antibiotika verweigern: "Sie können diese Möglichkeit nutzen, selbstbestimmt mit unserer Betreuung würdevoll das Leben zu verlassen."
 
Nicht gelten lassen wollte das Nikola Göttling, selbst an Multipler Sklerose erkrankt und im Rollstuhl. "Es gibt Hintertürchen, das stimmt", sagte sie. "Ich muss mir nur eine Infektion zuziehen, dann ins Krankenhaus fahren und die Behandlung verweigern." Aber wenn ihre Lähmung auch die Arme erfasse, dann müsse sie gewickelt und gefüttert werden. Sie wolle daher kein "Hintertürchen", sondern die Möglichkeit zu sterben, "weil mein Leben entwürdigend ist".
 
Welche Entscheidung die Höchstrichter fällen, ist offen. Wie Vorsitzender Christoph Grabenwarter sagte, werden die Verhandlungen nun intern fortgesetzt.
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