Wahl-Kommentar

Die FPÖ kann die jüngste Strache-Affäre sogar nützen

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oe24.TV-Kommentator Gerald Grosz mit einem Kommentar zum aktuellen Wahlkampfgeschehen.

Neue Lage 40 Tage. Wenn selbst der nicht als ausgewiesener FPÖ-Freund geltende Falter-Chefredakteur Florian Klenk die heulende Gegnerschaft der Freiheitlichen in den sozialen Netzwerken eindringlich warnt, sich angesichts der justiziellen Verwerfungen um Strache nicht zu früh zu freuen, ist es Zeit, die Geschehnisse um den Ex-Vizekanzler zu rekapitulieren, um eine reale Abschätzung des Schadens oder sogar des eventuellen Nutzens auf die Wahlchancen zu geben.

  • 1. Exakt zwei Wochen vor der EU-Wahl wurde die Republik mit einem 2017 illegal angefertigten Ibiza-Video zweier damals noch in der Opposition agierender Patschentouristen erschüttert. Die Hauptdarsteller traten umgehend zurück, Kurz beendete die Koalition und rief Neuwahlen aus. Trotz des politischen Erdbebens verliert die FPÖ bei der EU-Wahl keine einzige Nettostimme.
  • 2. Ohne Not und Anlass wird Ex-Innenminister Herbert Kickl seitens des ehemaligen Regierungspartners von jeglicher Teilhabe an der Regierungsverantwortung ausgegrenzt. Seither zieht er als Law-and-Order-Märtyrer durchs Land und hat dank der anderen Parteien ein ­unschätzbares Alleinstellungsmerkmal, das ihn bereits jetzt zum Vorzugsstimmen-Kaiser kürt.
  • 3. Die Organisatoren des Ibiza-Videos mit Kontakten in höchste Polit- und Medienkreise und deren umgebende Beraterstäbe werden bis heute weder einvernommen, noch werden nennenswerte Ermittlungsschritte gegen sie gesetzt. Durch einen geschickten Winkelzug der bekanntermaßen parteipolitisch besetzten Justiz wurde die Aufklärung der Umstände der illegalen Aufzeichnung und Abhörung zweier ehemaliger Amtsträger auf mehrere Stellen aufgeteilt und somit im Keim „derschlogn“.
  • 4. SPÖ und ÖVP versinken im gegenseitigen Schmutzkübel. Simmering gegen Kapfenberg wird durch Drozda gegen Nehammer ersetzt. Die Generalsekretäre schreddern vor allem eines: den Glauben der Menschheit an einen sauberen Wahlkampf.
  • 5. In der ÖVP mehren sich die Stimmen, vor allem aus den mächtigen Bundesländern, die türkis-blaue Reformregierung nicht mehr fortzusetzen, sondern trotz der gegenseitigen Schmutzattacken eine Neuauflage der alten Stillstandskoalition mit der Sozialdemokratie zu wagen. Derweil gründet die Vorsitzende der SPÖ ganz in der Tradition der ­Salon- und Champagnersozialisten im Club 55 in St. Tropez die SPÖ-Sektion „Côte d’Azur“.
  • 6. Exakt 6 Wochen vor der alles entscheidenden Nationalratswahl stürmen Gustav 1 und Gustav 2 das Privathaus von Strache. Der für jeden Rechtsexperten als äußerst zweifelhaft eingeschätzte Grund für die Hausdurchsuchung – übrigens die schärfste Waffe der Justiz neben dem Freiheitsentzug – ist in der entsprechenden Anordnung zu lesen: „Der Tatverdacht ergibt sich aus der anonymen Anzeige (ON 2) in Zusammenschau mit den aus dem Firmenbuch und dem Internet angefertigten Ausdrucken (ON 3 bis 5).“ Garniert ist das seichte Konvolut der neu aufgekeimten Denunziationsjustiz mit einem Artikel einer Standard-Redakteurin. Justizinsider sprechen davon, dass es nur einen einzigen Grund für diese in der Geschichte der ­Republik einzigartigen Hausdurchsuchung gäbe: Habhaftwerdung von Straches Handy und die flehentliche Hoffnung, auf Zufallsfunde im laufenden Wahlkampf zu stoßen.

Subsumiert man diese Geschehnisse, kommt man recht rasch zum Schluss: Einige nennenswerte Kräfte innerhalb unserer Republik setzen wirklich alles daran a) Strache auch persönlich zu vernichten, b) die FPÖ nach 70 Jahren restlos zu zertrümmern, c) eine Neuauflage von Türkis-Blau 
längerfristig zu verunmöglichen.

Wenn es der FPÖ daher gelingt, geschlossen auf diese chronologisch aufgearbeiteten Tatsachen hinzuweisen, werden Hofer, Kickl und Co am Wahlabend ein ansehnliches Ergebnis verkünden können. Wenn die FPÖ hingegen diesem Außendruck nicht standhält, die führenden Proponenten in Einzelegoismen und Opportunismus verfallen, eine Lagerbildung das große Ganze verhindert, wird es diese Partei in der heute bekannten Form nicht mehr geben. Glück und Unglück liegen nah beieinander!

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