Sensationsfund in Georgien

Stammen wir von wem ganz anderen ab?

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Neue Überreste unserer Vorfahren entdeckt. Das revolutioniert alte Theorien.

Der Stammbaum der Menschwerdung könnte künftig mit weniger Spezies auskommen als von vielen Wissenschaftern bisher gedacht. Die Tatsache, dass im georgischen Dmanissi etwa 1,8 Mio. Jahre alte Überreste von Vorfahren des Menschen gefunden wurden, die offensichtlich Zeit und Ort miteinander teilten und trotzdem sehr unterschiedlich aussahen, lässt darauf schließen, dass Funde, die zu eigenen Zweigen erklärt wurden, eigentlich einer einzigen Gattung - nämlich "Homo erectus" - angehörten. Diesen Schluss ziehen Wissenschafter aus der Schweiz, Georgien, Israel und den USA in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Science".

Viele Stammbäume, die den wahrscheinlichsten Verlauf der Evolution in Richtung moderner Mensch nachzeichnen, warten im Zeitraum vor etwa zwei bis 1,8 Mio. Jahren mit Namen wie "Homo habilis", "Homo rudolfensis" oder "Homo erectus" auf, die gleichzeitig existiert haben sollen. Die Frage, ob es damals nur eine oder mehrere Menschenarten gab, die nebeneinander lebten, begleitet die Paläoanthropologie schon sehr lange und wird kontroversiell diskutiert.

Gleich und doch nicht gleich...
Die in den vergangenen Jahren gefundenen Fossilien geben allerdings starke Hinweise darauf, dass alle zusammen eher Vertreter des Homo erectus waren, die nur sehr verschieden aussahen. Denn die in Dmanissi quasi nebeneinanderliegenden Überreste sind zueinander mindestens genauso unterschiedlich wie Funde, die als unterschiedliche Arten interpretiert wurden.

Die Funde aus Georgien seien, "als ob man drei Mal das große Los zieht und dann kommt es auch noch ein viertes und fünftes Mal. Das sind Sternstunden in einer Wissenschafterlaufbahn", erklärte der Anthropologe Christoph Zollikofer von der Universität Zürich im Gespräch mit der APA. "Dmanissi ist die einzige Fundstelle, wo wir mehr als ein Individuum vom selben Ort und aus der selben geologischen Zeitpunkt haben."

Die mögliche Variabilität innerhalb einer Spezies sei im Angesicht der Funde offensichtlich unterschätzt worden - oder anders gedacht: Gerade bei Fossilien scheint es, als ob Forscher dazu neigen, schnell von verschiedenen Spezies zu sprechen. "Was wir finden, ist, dass nämlich die Variationsbreite innerhalb von Dmanissi gar nicht größer ist als die innerhalb moderner Schimpansen, Bonobos oder auch unserer eigenen Art", so Zollikofer, der mit Zürcher Kollegen den Großteil der Analysen durchgeführt hat.

Das hänge ein wenig mit der "Denkschule in der Anthropologie" zusammen. "Stellen Sie sich vor, Sie finden nach zehn Jahren Buddeln ein Fossil. Dann nimmt man natürlich implizit an, dass das wichtig ist für die menschliche Evolution. Man nimmt auch implizit an, dass es die Art, zu der es gehört hat, gut repräsentiert", so der Experte. Einen einzelnen Fund als "Typusexemplar" für eine angenommene Spezies zu nehmen, sei "statistisch nicht sehr klug. Das ist, wie wenn ich von mir selbst annehmen würde, dass ich quasi den Mittelwert der modernen Menschheit repräsentiere", so Zollikofer. Es brauche demnach zumindest kleine Stichproben, um sich ein Bild darüber machen zu können, wie unterschiedlich Vertreter einer Art untereinander sein können.

Unterschiede zwischen Männlein und Weiblein

Ein Grund für die relativ große Variabilität innerhalb der Population in Dmanissi könnte sein, dass es zwischen männlichen und weiblichen Vertretern von "Homo erectus" - ähnlich wie bei heutigen Schimpansen - große Unterschiede gegeben haben könnte. Zudem habe man herausgefunden, dass die Zähne der verschiedenen Fossilien unterschiedlich abgenutzt waren, was auf unterschiedliches Alter rückschließen lasse. Zollikofer: "Wir haben festgestellt, dass diese Abnützung einen enormen Einfluss auf die Gesichtsform hatte."

 Zudem sei denkbar, dass - unter der Annahme, alle Frühmenschen zu dieser Zeit waren "Homo erectus" - die Spezies von tropischen Regionen bis in deutlich kühlere Regionen verbreitet war und sich dementsprechend gut an die verschiedenen Bedingungen angepasst hat, was sich wahrscheinlich auch im Aussehen niederschlug.


 

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