Verfassungwidrig

D: Aus für die Vorratsdatenspeicherung

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Alle gespeicherten Daten müssen umgehend gelöscht werden.

Die Massenspeicherung von Telefon- und Internetdaten zur Strafverfolgung ist in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt worden. In ihrer konkreten Ausgestaltung verstießen die Regelungen gegen das im Grundgesetz verankerte Telekommunikationsgeheimnis, urteilten die Richter in Karlsruhe am Dienstag. Sie seien daher verfassungswidrig und nichtig. Die erhobenen Daten seien unverzüglich zu löschen.

Mangelnde Sicherheit
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird aus Sicht der Verfassungsrichter nicht gewahrt. Außerdem mangele es an einer Sicherheit für die Daten, und es gebe keine konkreten Angaben, wofür die Daten gebraucht werden sollen. Ferner kritisierten die Richter eine mangelnde Transparenz des Gesetzes. Das Verfassungsgericht gab mit dem Urteil drei Verfassungsbeschwerden statt. Insgesamt 35.000 Bürger hatten gegen die Bestimmungen geklagt.

Gesetz 2007 verabschiedet
Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde im Dezember 2007 verabschiedet. Es regelt, dass alle Telefonunternehmen ein halbes Jahr lang die Daten speichern müssen, wer wann von wo aus mit wem telefoniert hat. Auch SMS- oder E-Mail-Verkehrsdaten werden gespeichert. Der Inhalt der Gespräche oder Mails wird jedoch nicht erfasst. Bei Straftaten oder zur Gefahrenabwehr konnten Staatsanwaltschaften, Polizei oder Geheimdienste auf die Daten bei den Telefonunternehmen zurückgreifen.

Illegaler Download kein Grund
In Einstweiligen Anordnungen hatten die Karlsruher Richter bereits 2008 das Abrufen der Daten durch staatliche Stellen erschwert. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache durften sie demnach nur noch bei schweren Straftaten wie Mord und Totschlag, aber auch Kinderpornografie, Urkundenfälschung oder Bestechung genutzt werden. Das illegale Herunterladen von Musik dagegen ist seitdem kein Grund mehr für eine mögliche Nutzung der Daten.

Geteiltes Echo
Das Urteil des deutschen Verfassungsgerichts gegen die Massenspeicherung von Telefon- und Internet-Daten ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Die mitregierende FDP und die oppositionellen Grünen begrüßten es am Dienstag, während die Union ihr Bedauern ausdrückte. Der Telekom-Branchenverband VATM forderte wiederum einen finanziellen Ausgleich vom Staat.

Der Vorsitzende der deutschen Freidemokraten (FDP), Vizekanzler Guido Westerwelle, zeigte sich erfreut über das Urteil. "Ich finde es hervorragend, dass Liberale dieses Urteil erstritten haben", sagte er am Dienstag in Berlin. Vor allem Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erlebe damit "eine wirkliche Bestätigung ihres langjährigen Engagements für Bürgerrechte", betonte er.

"Andere Länder profitieren nicht"
Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung wollen nach ihrem Erfolg auch europaweit gegen diese Regelungen kämpfen. "Andere Länder profitieren von diesem Urteil nicht, also wollen wir unseren Protest über die Grenzen ausweiten", sagte am Dienstag Florian Altherr, der Sprecher des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung und Vertreter der größten Klägergruppe. Verfassungsgerichte in Rumänien und Bulgarien hätten ähnlich entschieden wie die Karlsruher Richter, in anderen Staaten sei dies bisher nicht der Fall. Das nun gekippte deutsche Gesetz aus dem Jahr 2008 geht auf eine EU-Richtlinie zurück.

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sprach von einem "riesengroßen Erfolg". Es habe sich gelohnt, dass sich viele Menschen gegen die Vorratsdatenspeicherung gewehrt hätten. Jetzt müsse das Parlament die Arbeit aufnehmen und dafür sorgen, dass die Grundrechte nicht weiter mit Füßen getreten würden.

"Chancen für europäische Revision"
Die österreichische Grünen-Europaabgeordnete Eva Lichtenberger begrüßte ebenfalls das Urteil. Sie bezeichnete es in einer Aussendung vom Dienstag als einen "wichtigen Schritt, der große Chancen für eine europäische Revision eröffnet".

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Peter Altmaier, bedauerte dagegen das Urteil. "Dieses Urteil ist eines, das uns erst einmal in Schwierigkeiten bringen wird, weil wir Instrumente nicht anwenden können", sagte Altmaier. Er habe das Gesetz für richtig gehalten. Es werde nun schwieriger, Erkenntnisse zur Gewährleistung der inneren Sicherheit zu gewinnen, sagte der CDU-Politiker.

Die Telekommunikationswirtschaft will nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen finanziellen Ausgleich vom Staat erhalten. "Wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung uns - den Telekomunternehmen - das bezahlen muss", sagte der Geschäftsführer des Branchenverbandes VATM, Jürgen Grützner, am Dienstag in Hannover der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX. "Die Telekomunternehmen haben bereits Millionen Euro investiert, um in Vorleistung zu gehen."

Grützner geht davon aus, "dass wir die Daten erst komplett löschen und dann wieder speichern müssen. Je nach dem, wie die neue Gesetzeslage dann aussieht". Der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) organisiert mehr als 90 im deutschen Markt aktive Telekommunikationsanbieter, allerdings nicht den Ex-Monopolisten Deutsche Telekom. Der VATM repräsentiert nach eigenen Angaben rund 80 Prozent des von den privaten Anbietern erzielten Gesamtumsatzes der Branche.

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