Türkei

Entwurf für Präsidialsystem in Parlament eingebracht

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Reform soll Machtbefugnisse Erdogans massiv ausweiten.

Der Entwurf für die Änderung der türkischen Verfassung zur Einführung eines Präsidialsystems ist am Samstag ins Parlament in Ankara eingebracht worden. Das berichteten der staatliche Fernsehsender TRT sowie die Nachrichtenagentur Anadolu. Mit dem Gesetz will Präsident Recep Tayyip Erdogan laut Kritikern seine Machtbefugnisse massiv ausweiten.

Die von Erdogan mitbegründete Regierungspartei Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) habe die Vorlage für die Verfassungsänderung dem Parlamentspräsidium übermittelt, meldete Anadolu. Mit ihr soll ein Präsidialsystem wie in Frankreich oder den USA eingeführt werden. Allerdings kommt die AKP selbst mit ihren Verbündeten im Parlament nicht auf die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit, um die Reform direkt zu verabschieden.

Großer Widerstand
Trotz des Widerstands der Opposition und der Skepsis großer Teile der Bevölkerung verfolgt Erdogan seine Pläne zur Einführung des Präsidialsystems mit großer Beharrlichkeit, seitdem er im August 2014 als erster Präsident der Türkei in direkter Wahl an die Staatsspitze gewählt wurde. Kern der nun geplanten Verfassungsänderung soll die Übertragung eines Großteils der derzeit beim Regierungschef liegenden Befugnisse auf den Staatschef sein.

Die Pläne spalten jedoch das Land, das ohnehin bereits seit der Niederschlagung der Proteste im Istanbuler Gezi-Park im Juni 2013 polarisiert war. Hinzu kamen Korruptionsvorwürfe gegen führende Politiker und Geschäftsleute aus dem Umfeld Erdogans Ende 2013. Hatten ihm bis dahin auch seine Gegner zugute gehalten, das Land vom Rande des Ruins in der Finanzkrise 2001 zu beispiellosem Wachstum geführt und zu einem bedeutenden politischen Akteur in der Region gemacht zu haben, mehrte sich nun die Kritik.

EU-Politiker, die Erdogan ungeachtet seines oft polternden Auftretens wegen seiner demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen schätzten, warnten besorgt vor einem Abgleiten in den Autoritarismus.

Putschversuch

Wie sich beim versuchten Militärputsch Mitte Juli zeigte, reichten die Verwerfungen tief in Erdogans eigenes Lager, war doch der islamische Prediger Fethullah Gülen, den die Regierung für den Umsturzversuch verantwortlich macht, lange ein enger Verbündeter der AKP. Dank der Unterstützung seiner Anhänger auf den Straßen überstand Erdogan zwar den Putschversuch, doch zeigte dieser, wie prekär seine Macht ist.

Seit der Verhängung des Ausnahmezustands sucht Erdogan durch die Entlassung zehntausender mutmaßlicher Gülen-Anhänger aus dem Staatsdienst sowie durch die Schließung der letzten kritischen Medien seine angeschlagene Position wieder zu festigen. Mit der lange diskutierte Reform der Verfassung will der 62-Jährige nun erreichen, wovon er seit Jahren träumt: Zum hundertsten Jubiläum der Republik-Gründung 1923 der unangefochtene Präsident der Türkei zu sein.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) übte am Samstag laut Aussendung zum internationalen Tag der Menschenrechte Kritik an Verletzungen der Medienfreiheit in der Türkei. Menschenrechte und Demokratie seien integraler Bestandteil umfassender Sicherheit. "Die zunehmenden Angriffe auf Grundfreiheiten, wie die Medien- und Meinungsfreiheit, sowie massive Behinderungen der Zivilgesellschaft gefährden daher Demokratie und Stabilität in einer Reihe von Staaten." Er beobachte daher mit Sorge, "dass immer mehr grundlegende Menschenrechte in der Türkei missachtet werden und vor allem kritische Medien den Säuberungsaktionen zum Opfer fallen".

Die deutschen Sozialdemokraten (SPD) wollen einer türkischen Journalistengewerkschaft mit einer Auszeichnung den Rücken stärken. Die Gewerkschaft TGS ("Türkiye Gazeteciler Sendikasi") erhält den Willy-Brandt-Sonderpreis für besonderen politischen Mut. Das gab SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel während einer Türkei-Reise am Samstag in Istanbul bekannt. Dort traf er sich mit Gewerkschaftsvertretern.

"Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Türkei hat TGS politischen Mut bewiesen und den zunehmenden politischen Druck, Zensur sowie Übergriffe auf Journalisten und Redaktionen in aller Deutlichkeit kritisiert", sagte Schäfer-Gümbel, der auch die Redaktion der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" besuchte. Die Journalistenvereinigung TGS wurde 1952 gegründet und setzt sich für die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei ein. TGS hilft auch Journalisten, die seit dem gescheiterten Militärputsch verhaftet wurden.

Der internationale Willy-Brandt-Preis wird am 23. Jänner in Berlin von SPD-Chef Sigmar Gabriel überreicht. Bisherige Preisträger waren unter anderem die Snowden-Mitarbeiterin Sarah Harrison und die ägyptische Schriftstellerin Laila Soliman.

 

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