Kampf ums Überleben

Erdrutsche in Rio treffen die Armen

Teilen

Unwetter in Brasilien treffen Elendsviertel hart - "Wo sollen wir sonst hin?"

Das Haar ist schlammverkrustet, das zerrissene Hemd, die zerfetzte Hose und die Gummipatschen. 15 Stunden lang hat Rodrigo de Almeira in Matsch und Trümmern nach Überlebenden gewühlt. Hat er jemanden retten können? Stumm schüttelt der 28-Jährige den Kopf. "Genau dort sind 15 Leute gestorben, die ich kannte", sagt er und starrt auf einen Haufen Dreck. Aus dem Matsch ragen Holzbretter - Überreste der Bruchbuden, die nach sintflutartigem Regen von Schlammlawinen verschlungen wurden.

Mühsame Suche nach Überlebenden
In Morro dos Prazeres, einem der Elendsviertel von Rio de Janeiro, graben sich Rettungstrupps vorsichtig mit Schaufel und Hacke durch den Matsch. "Heute früh haben wir einen lebendig gefunden, da hatten wir Hoffnung", sagt Almeira. "Er hat's nicht geschafft. Wir haben gehört, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben ist." Die Feuerwehr hat keinen Überblick, wie viele Menschen gerettet werden konnten. Sehr viele sind es den Behörden zufolge nicht. Das Gelände ist steil, das Erdreich völlig durchweicht, und es regnet weiter.

Am Mittwochabend ging in einer Favela in Rios Nachbarstadt Niteroi der nächste Erdrutsch ab und begrub mindestens 40 Häuser unter sich. Helfer suchen in den frühen Morgenstunden unter Scheinwerferlicht nach Überlebenden. Wie viele Menschen genau vermisst werden, weiß keiner, doch man befürchtet Dutzende Verschüttete.

Mindestens 147 Tote
Der Regen hat zwar etwas nachgelassen. Aber die Arbeit gehe nur langsam voran, sagt Feuerwehr-Einsatzleiter Alves Souza. Das starke Gefälle und der durchnässte Untergrund machen jede Bewegung gefährlich, für die Retter wie für die möglicherweise noch lebenden Verschütteten. "Wir konnten zwei Leichen bergen. Es ist harte Arbeit bei der Masse an Erdreich, mit der wir es zu tun haben", sagte er dem Fernsehsender Globo.

Die Schlammlawinen nach den heftigsten Regengüssen seit Jahrzehnten haben im Großraum Rio bisher mindestens 147 Menschen in den Tod gerissen. Die Zahl der Vermissten wird am Donnerstag mit mindestens 60 angegeben - da sind die Opfer des jüngsten Erdrutschs in Niteroi noch nicht berücksichtigt.

Favelas als Todesfalle
Fast alle Todesopfer starben unter Schlammlawinen in den Favelas - ein weiteres Beispiel für den krassen Unterschied der Lebensverhältnisse zwischen Arm und Reich in Rio. Wer in den Elendsvierteln lebt, kennt die Gefahr häufiger Schießereien zwischen Polizei und schwer bewaffneten Drogengangstern. Wenn starker Regen die an den steilen Hängen über der Stadt gelegenen Siedlungen aufweicht, bringt die Natur selbst den Tod.

Doch die Einwohner wie Almeira wüssten nicht, wo sie sonst leben sollten, wenn sie in den wohlhabenden Vierteln Rios Arbeit haben wollen. "Die Regierung will die Bewohner zum Wegziehen zwingen, die in Gefahr leben, und das ist verständlich", sagt Leandro Ribeiro. "Aber wo sollen wir sonst hin? Manche Leute leben seit 30 Jahren hier. Das ist ihr Zu Hause."

Bürgermeister Eduardo Paes will jetzt Ernst machen mit den Zwangsumsiedlungen. 1.500 Familien sollen aus ihren Behausungen in Morro dos Prazeres und Rocinha weichen, einem der größten Elendsviertel Lateinamerikas. "Ich will nicht den nächsten Sommer schlaflos verbringen und mich sorgen, ob im Regen jemand umkommt", sagt er.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.