Verzweifelter Flüchtling

"Ich bin kein IS-Kämpfer, ich will nur Frieden"

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Flüchtlinge in Idomeni wehren sich gegen den pauschalen Terrorismusverdacht.

"Ich bin kein IS-Kämpfer, ich will nur Frieden." Bassem zeigt auf seine elf Monate alte Tochter. "Ich will Frieden für sie." Die meisten Flüchtlinge können nicht verstehen, warum Europa so plötzlich seine Grenzen dicht gemacht hat. Warum viele Angst haben. Angst vor "dem Anderen", vor dem Islam, oder Angst, dass sich Terroristen unter den Flüchtenden befinden könnten.

"Wir fliehen ja vor diesen Leuten!"
"Wenn die Leute ein bisschen nachdenken, müssen sie doch wissen, dass wir keine Sympathisanten von Daesh (der Terrororganisation Islamischer Staat, Anm.) sind. Wir fliehen ja vor diesen Leuten!", ruft Bassems Frau Khulod. Die vierfache Mutter, die seit fast einem Monat in Griechenland ist, senkt ihren Blick, wenn sie von den Gräueltaten des IS erzählt.

Vollverschleierung war in ihrer Heimatstadt Deir-al-Zor natürlich Pflicht. Waren die Augen nach Ansicht der IS-Sympathisanten zu sehr sichtbar, wurde ihr Mann geschlagen. Selbiges galt für die Knöchel. Für Männer selbst war ein Bart Pflicht. Regelmäßig konnte Khulod beobachten, wie jene, die keinen trugen, "in einen Lastwagen gekarrt und verschleppt" wurden, erzählt die junge Frau. Mit leiser Stimme sagt sie: "Der IS weiß nichts vom Islam, nichts vom Koran."

Glaube soll egal sein
Dass viele Europäer dem Islam pauschal so kritisch gegenüberstehen oder sogar Angst vor der Religion haben, verwundert Khulod und ihren Mann Bassem. "Es ist doch egal, welchen Glauben jemand praktiziert. In Europa habt ihr doch Religionsfreiheit! Du bist Christ, ich bin Moslem - und wir sind Freunde", meint Bassem mit erwartungsvollem Blick.

Im improvisierten Flüchtlingscamp Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze, in dem sich Khulod und Bassem mit ihren vier Kindern aufhalten, spielt Religionszugehörigkeit jedenfalls keine Rolle. Sogar die unglaubliche Gastfreundschaft haben die Flüchtlinge, die hier selbst in Zelten im Schlamm hausen, nicht verloren. Während der Gespräche bieten sie Journalisten und freiwilligen Helfern eine Tasse Tee an. Auch die Croissants, die sie zuvor bei der Essensausgabe erhalten haben, verteilen sie, ohne zu zögern.

Hilfe
Die Hilfsbereitschaft sei groß, so der österreichische Rot-Kreuz-Koordinator Christopher Bachtrog, der sich seit rund vier Wochen in der Region aufhält. Er erinnert sich an einen syrischen Flüchtling - in seiner Heimat Damaskus selbst Mitarbeiter des Roten Halbmondes - der nach seiner Ankunft in Idomeni eine Woche lang freiwillig in dem Flüchtlingscamp mithalf. "Wir alle hier sind Menschen", fasst Bachtrog zusammen. "Eben Menschen in allen Facetten" - ob jung, alt, gebildet, weniger gebildet, mit Kindern oder ohne - sie alle würden jedenfalls vor "schrecklichen Umständen in ihrer Heimat fliehen".

Auch das Innenministerium verwehrt sich dagegen, Flüchtlinge unter "Generalverdacht" zu stellen, sagt Sprecher Karl-Heinz Grundböck, gefragt nach möglichen über die Balkanroute eingereisten Terroristen. Es gebe zwar "einzelne Verdachtsfälle", die Zahl der Ermittlungen bzw. Verfahren liege aber im einstelligen Bereich. Grundsätzlich stelle sich die Frage, ob der IS zur Erreichung seiner Ziele tatsächlich "so einen Weg" wählen würde, so Grundböck zur APA. Gleichzeitig sei aber auch offen, ob es nicht "strategisches Kalkül der Terroristen sein könnte, sich bewusst deshalb als Flüchtlinge registrieren zu lassen, um die öffentliche Stimmung gegen Flüchtlinge zu beeinflussen".

ISIS-Spitzel
"Wovor Europäer Sorge haben, das macht den Flüchtlingen erst recht Angst: unter ihnen eingeschleuste Spitzel des IS", sagte der deutsch-iranische Schriftsteller und Publizist Navid Kermani, der für sein aktuelles Buch Flüchtlinge entlang der Balkanroute interviewte, kürzlich. "Ich liebe mein Land, ich hätte es nicht einfach so verlassen. Aber wir hatten einfach zu große Angst vor Daesh", beteuert auch Bassem.
 

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