Missbrauch gedeckt?

"Ich bringe den Papst vor Gericht"

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US-Anwalt Anderson will das Oberhaupt der katholischen Kirche vor Gericht zerren. Der Papst soll von Missbrauchsfällen gewusst haben.

Anwalt Jeff Anderson (62) wirkt freundlich: Ruhige Stimme, runde Brillen, weiße Haare. Der Anwalt aus St. Paul im US-Bundesstaat Minnesota aber ist der Mann, der den Stellvertreter des christlichen Gottes auf Erden, Papst Benedikt XVI., stürzen will: „Ich will den Papst verklagen.”

Andersen ist Sammelkläger, spezialisiert auf sexuelle Übergriffe von Priestern auf Minderjährige. Tausende Klagen hatte er in der Skandalwelle, die die katholische US-Kirche im letzten Jahrzehnt überrollte, eingebracht: Er klagte Priester, Diözesen, Kardinäle. Er erstritt nach eigenen Angaben 60 Millionen Dollar an Entschädigungen für seine Klienten.

Doch der große Wurf gelang dem Staranwalt in der Vorwoche. In den Akten fand er eine „Rauchende Pistole”, ein vernichtendes Schuldindiz gegen den Pontifex Maximus: Zwischen 1950 und 1975 hatte der Priester Lawrence Murphy mindestens 200 taubstumme Buben in einem Heim im US-Staat Wisconsin missbraucht.

Papst Benedikt war über Missbrauch voll informiert
Der Fall landete, so die jetzt aufgetauchten Dokumente, Mitte der Neunziger im Büro des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger, dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation des Vatikans.

Der heutige Papst war demnach nicht nur vollständig über den Skandal informiert, sein Büro entschied 1996 auch: Keinerlei Konsequenzen sollte es gegen Murphy geben, der zwei Jahre später verstarb (siehe auch links). Der Grund: Der Priester hatte seine Sünden gebeichtet.

„Diese Unterlagen sind ein Wendepunkt”, sagt der Kirchenkläger: Er hofft, dass die US-Gerichte nun direkte Klagen gegen den Vatikan und Papst Benedikt zulassen könnten.

Fest steht schon jetzt: Die eindeutige Aktenspur in den Vatikan stürzt die Katholiken in die schwerste Krise sei Jahrhunderten, so US-Experten. Anderson kampflustig: „Die Vertuschung sexueller Fehltritte ist derart tief in der klerikalen Kultur verankert, dass eine wirkliche Änderung nur von der Vatikan-Führung selbst kommen kann.”

Anderson, ein bekehrter Atheist, treibt an, dass seine eigene Tochter über sexuelle Übergriffe eines Therapeuten berichtete, als sie acht war. Der Mann war Ex-Priester. Kritiker werfen dem Anwalt vor, aus Geldgier die Kirche zu verklagen. „Es geht hier nicht ums Geld”, winkt er ab.

Der Aktenfund bringt den Papst in Bedrängnis

Top-Anwalt Jeff Anderson hob jenen brisanten Briefverkehr zwischen US-Katholiken und dem Vatikan aus, der jetzt Papst Benedikt ins Trudeln bringt. Es ist ein Protokoll der Vertuschung: Zuerst erfuhr die Kirche vor 36 Jahren, dass Priester Lawrence Murphy taubstumme Schulkinder missbrauchte. 1974 wurde Murphy in eine Diözese in Nord-Wisconsin versetzt. Es kam zu weiteren Übergriffen. Nach der Sex-Skandalwelle in den USA meldeten sich 36 frühere Murphy-Opfer. US-Kirchenleute schrieben 1996 an Joseph Ratzinger, dessen Büro zuständig war.

Die Antwort. Acht Monate später, nach dreimaligem Urgieren aus Amerika, kam die Antwort: Ratzingers Büro teilte dem damaligen Erzbischof von Milwaukee, Rembert Weakland, mit, dass vor allem einmal absolutes Stillschweigen über den Fall bewahrt werden sollte. Immerhin sollte ein geheimes, kanonisches Verfahren gegen Murphy abgehalten werden. Doch der schrieb direkt an Ratzinger: Er sei „krank”, die Vorwürfe 25 Jahre alt, er habe alles gebeichtet.

Am Ende entschied der Vatikan, den Murphy-Prozess abzublasen.

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