Der Mob wütet

"Ich stand im Kugelhagel von Bangkok"

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Bangkok brennt – der Mob wütet in der ganzen Stadt. Gestern stürmten Soldaten das Hauptquartier der Rothemden. Fünf Menschen starben.

Anarchie und Chaos in Thailand: Mit Panzern und Bulldozern ging die Armee gestern gegen das besetzte Gebiet der "Rothemden" in der Innenstadt vor. Die Lage für die Demonstranten war aussichtslos. "Ich weiß, dass es für einige von euch inakzeptabel ist", sagte einer der Anführer, Nattawut Saikuar, in einer Ansprache vor Tausenden Anhängern. "Aber wir beenden jetzt unseren Widerstand." Einige der Führungsköpfe ergaben sich der Polizei, andere wurden kurze Zeit später verhaftet.

20 brennende Gebäude.
Die Folge der Kapitulation waren fatal: Während manche Anhänger der Protestbewegung in Tränen ausbrachen, entlud sich die Enttäuschung über die Niederlage bei vielen der 5. 000 Aufständischen in purer Gewalt: Randalierende Gruppen zogen durch die Innenstadt, legten wahllos Brände, lieferten sich erbitterte Kämpfe mit der Armee. Die vorläufige Bilanz: Mindestens sechs Menschen starben, rund 20 Gebäude wurden in Brand gesetzt - darunter die Börse, ein Theater und das zweitgrößte Kaufhaus Südostasiens, das "Central World", das vollständig zerstört wurde.

Ausgangsverbot.
Die thailändische Führung reagierte mit einem nächtlichen Ausgangsverbot für die Stadt - das erste seit 15 Jahren. Für die Hauptstadt und 22 Provinzen wurde der Ausnahmezustand verhängt. Die Nachricht von der völligen Gewalteskalation breitete sich im ganzen Land rasend aus, in manchen Regionen reagierten die Menschen mit Panikkäufen. Unklar blieb, ob es sich beim Sturm der Demonstranten um ein letztes Aufbäumen oder einen Neuanfang der Proteste handelt.

"Um 10. 30 Uhr stand ich im Kugelhagel"

Panik, Chaos, Angst, ich sitze im Inferno. Mittwoch, 10. 30 Uhr Ortszeit. Rote Zone im Zentrum Bangkoks. Sperrgebiet. Direkt im Hauptquartier der Rothemden. Neben mir die exklusivsten Einkaufstempel - "Siam Paragon", "Central World", "Zen". Vor mir eine Zeltstadt mit Tausenden Menschen. Alle haben sie Flaschen am Hosengurt - Molotow-Cocktails. Keiner trägt mehr ein rotes T-Shirt. Aus überdimensionalen Lautsprechern dröhnt ohrenbetäubende Musik. Sie soll aufputschen, Gefechtslärm übertönen. Alle haben blanke Angst.

"Plötzlich Schüsse, es kracht, Kugeln pfeifen"
Plötzlich: 50. 000 Soldaten und Polizisten rücken vor. Überall wird geschossen. Es knirscht, kracht, Kugeln pfeifen. Barrikaden brennen. Horrormeldungen dringen ins Hauptquartier. An keinem Punkt kann der Armee etwas entgegengesetzt werden. Ich treffe Dr. Weng Tojirakarn, einen der Führer der "Roten". 24 Stunden zuvor sagte er noch zu mir: "Wir werden bis zum Schluss ausharren." Jetzt sieht er um Jahre gealtert aus. Er tritt auf die Bühne. Er nimmt das Mikrofon, schreit mit brechender Stimme: "Es sind zu viele gestorben. Ich will nicht, dass noch mehr Blut fließt. Wir geben auf."

Weng eilt von der Bühne. Huscht in einen schwarzen BMW X5. Rauscht weg. Er und die anderen Anführer lassen ihre Anhänger im Stich.

"Die Molotow-Cocktails fliegen in Schaufenster"
Jetzt bricht die Hölle aus. Tausende, die auf der Straße ausgeharrt haben, versuchen, wegzukommen. Wie ein Panikschwall schiebt sich die Masse durch den dichten Rauch in Richtung der Pathum-Wanaram-Tempelanlage - eine neutrale Zone inmitten einer buddhistischen Mönchssiedlung.

Während die Armee immer näher rückt, laden Vermummte ihren ganzen Frust gegen "die da oben" ab. Zuerst schleudern sie Steine gegen die Glasfronten der exklusiven Einkaufstempel "Zen" und "Siam Paragon". Glas zerbirst, Molotow-Cocktails fliegen in die mächtigen Auslagen. Das "Zen" geht in Flammen auf. Plötzlich eine bizarre Situation: Ein junger Thai spricht mich mit oberösterreichischem Dialekt an - er lebt eigentlich in Linz, erklärt er mir (siehe rechts).

Wie die Ameisen kriechen einige in die zerborstenen Schaufenster, rauben noch rasch, was sie an sich raffen können. Selbst die Schaufensterpuppen tragen sie weg. Ein bizarres Schauspiel. Hier wurden Tausende Arbeitslose, Kleinkriminelle, vom Schicksal Bestrafte für einen fragwürdigen politischen Kampf missbraucht, denke ich mir.

Ich folge dem Mob. Renne mit anderen Journalisten in die Tempelanlage. BBC, CNN, ABC, Stern, Thai TV - alle Kollegen retten sich hierher.

Nach vier Stunden im Hexenkessel schaffe ich es, ein Krankenhaus zu erreichen. Es ist leer. Ärzte und Krankenschwestern sind weg. Im Foyer sind nur Polizei und Armee. Sie sehen meine grüne Journalistenschleife. Lassen mich rein. Gerettet! Mit einem Mopedtaxi fahre ich zu meinem Hotel.

Ich sehe die Börse brennen, einige Banken, Einkaufszentren. Selbst in der bekannten Sukhumvit-Straße brennen Barrikaden. Die Guerilla-Trupps haben sich jetzt auf die gesamte Millionen-Metropole ausgedehnt - die Lage ist völlig außer Kontrolle.

Linzer kämpft für die "Rothemden"

Die meisten Auslandsösterreicher in Bangkok sind in Sicherheit. ÖSTERREICH traf einen Linzer, der mitten in der besetzten Zone war.

In einer Tempelanlage in Bangkok, gestern Mittag. ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl hat sich mit Journalistenkollegen hierher geflüchtet. Plötzlich wird er angesprochen - in tiefstem oberösterreichischem Dialekt: "Hilf mir und meiner Frau", bittet der Mann auf Deutsch. Verrückt: Bangkok brennt und mittendrin ein Thailänder, der eigentlich in Linz lebt.

Krungsak Krisadee (35) erzählt, dass er als Zehnjähriger mit seinen Eltern nach Oberösterreich kam. Er war beim Bundesheer, jobbt bei der Fernwärme Linz, sagt: "Wir waren auf Heimaturlaub, wollten den Rothemden nur Essen vorbeibringen, jetzt das!" "Habt ihr nicht mit dem Sturm der Armee gerechnet?", fragt Reporter Wendl: "Nein" sagt er, "das haben wir nicht geglaubt."

Krisadees Schicksal und das seiner Frau ist jetzt ungewiss. Jenen, die in der besetzten Zone gekämpft haben, drohen jetzt zwei Jahre Gefängnis.

Die anderen rund 100 Österreicher, die in Bangkok dauerhaft leben, sind laut Botschafter Johannes Peterlik in Sicherheit. "Sie wurden angewiesen, in ihren Wohnungen zu bleiben." Denn: "Es ist noch nicht klar, in welcher Form radikale Elemente das jetzt weiterführen."

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