Nach Militärputsch

Mehr als 10.000 Festnahmen in der Türkei

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Die Kritik aus der EU nimmt zu - und stößt in Ankara auf Unverständnis.

Die Zahl der Festnahmen seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei ist nach Angaben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf mehr als 10.000 gestiegen. 10.410 Verdächtige seien bei den andauernden Razzien festgenommen worden, sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in der Nacht zu Freitag im Präsidentenpalast in Ankara.

4060 von ihnen seien in Untersuchungshaft genommen worden. Die Massenfestnahmen und die Suspendierung von Zehntausenden Staatsbediensteten haben international zu Rufen nach Verhältnismäßigkeit geführt.

Ausnahmezustand

Seit Donnerstag gilt in der Türkei ein 90-tägiger Ausnahmezustand, den der Staatspräsident ausgerufen hat. Ziel ist nach seinen Worten, gegen Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorzugehen. Erdogan macht Gülen für den Umsturzversuch aus den Reihen der Streitkräfte mit mehr als 260 Toten verantwortlich. Die Türkei fordert von den USA Gülens Auslieferung.

Erdogan erklärte den 15. Juli, an dem der Putschversuch mit mehr als 260 Toten begann, zum "Gedenktag für Märtyrer" und sagte: "Kommende Generationen werden die Helden des Kampfes für die Demokratie nie vergessen." Das Volk sollten sich weiterhin auf den Plätzen des Landes versammeln, "bis unser Land diese schwere Phase vollständig hinter sich gelassen hat".

Feuer auf Zivilisten

Die Menschen müssten sich gegen den "hinterlistigsten und niederträchtigsten Putschversuch in der Geschichte des türkischen Volkes" zur Wehr setzen, sagte Erdogan. In der Nacht zu Freitag demonstrierten Tausende Menschen auf der Bosporusbrücke gegen den Umsturzversuch. Putschisten hatten die Brücke mit Panzern besetzt und auf Zivilisten das Feuer eröffnet.

Zum Ausnahmezustand sagte der Sprecher der Regierungspartei AKP, Yasin Aktay, "dass wir die Kritik aus Europa zu diesem Thema nicht nachvollziehen können. In Frankreich und in Belgien gibt es zwei Fälle aus der jüngsten Vergangenheit, in denen jeweils nach Terrorangriffen zunächst für sechs Monate der Ausnahmezustand ausgerufen und danach um sechs Monate verlängert wurde."

Obwohl die Türkei unter mehr Angriffen gelitten habe, habe sie bisher nicht zu der Maßnahme gegriffen gehabt, sagte Aktay laut Anadolu. "Dass wir es in diesem Fall getan haben, sollte vielmehr gelobt werden."

10.410 Festnahmen

Nach Aktays Angaben handelt es sich bei den 10.410 Festgenommenen um 7423 Soldaten, 287 Polizisten, 2014 Richter und Staatsanwälte sowie 686 weitere Zivilisten. Unter den festgenommenen Soldaten sind demnach 162 Generäle - fast die Hälfte aller Generäle der zweitgrößten Nato-Armee.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn zeigten sich besorgt über die Entwicklung. In einer gemeinsamen Erklärung verlangten sie, dass die türkische Regierung unter allen Umständen die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten bewahren müsse.

Kurz: "Inakzeptabel"

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bezeichnete die Maßnahmen der türkischen Regierung nach dem missglückten Putschversuch wie massenhafte Entlassungen und Säuberungen als "inakzeptabel". In den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei gebe es "rote Linien", sagte Kurz in der "ZiB2" des ORF am Donnerstagabend. Dazu gehörten die Wiedereinführung der Todesstrafe, Behördenwillkür und die Verfolgung politisch Andersdenkender

Zudem steht die sogenannte Heranführungshilfe der EU für die Türkei in Milliardenhöhe in der Kritik. Der deutsche Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) bezeichnete sie als Hohn und forderte das sofortige Einfrieren der Zahlungen. Die Entwicklung der Türkei hin zu einem autoritären Regime beweise, dass die Hilfe "nachweislich völlig wirkungslos" sei, sagte Singhammer der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag).

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon rief das Land zur Einhaltung der Menschenrechte auf. Konstitutionelle Ordnung und die internationalen Menschenrechte müssten respektiert werden, forderte Ban in einer am Donnerstag in New York verbreiteten Mitteilung. Dazu gehörten unter anderem Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und die Unabhängigkeit des Rechts- und Gerichtswesens.

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