Nach 10 Jahren im Straflager

Appell: »Vergesst andere Polit-Häftlinge nicht«

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Michail Chodorkowskis (50) erster Auftritt nach 10 Jahren Haft.

Selbst der Ort der Pressekonferenz hat Symbolkraft – Mauermuseum in Berlin-Mitte, direkt beim Checkpoint Charlie. Im Kalten Krieg Grenze zwischen Freiheit und Gulag. Chodorkowski wirkt fit, konzentriert. Er trägt dunklen Anzug, weißes Hemd, Krawatte, randlose Brille, den Schädel kahlrasiert. Typisch für russische Häftlinge – die Glatze als Schutz vor Läusen. Hunderte Journalisten drängen sich um ihn. Chaos droht, doch er bleibt ruhig, gefasst, positiv.

Chodorkowski: »War nicht der letzte Polit-Gefangene«
Rachegefühle. Ein Lächeln huscht erst über seine Lippen, als die Moderatorin sich bei Russlands Präsident Putin für die Freilassung bedankt.

Putin war sein Todfeind. Er hat ihn zehn Jahre in Lagerhaft gesteckt, den größten Teil seines 15-Milliarden-­Euro Vermögens beschlagnahmt. Rachegefühle zeigt er dennoch keine – zumindest nicht öffentlich. Genauso pragmatisch, wie er seine Gefängniszeit überstanden hat, arbeitet er auch das Thema Kremlchef ab: „Putin ist ein schwieriger Mensch.“ Früher wollte er ihn stürzen, jetzt sagt er: „Ich werde in Zukunft nicht um politische Macht kämpfen.“

Weichgespült hat ihn die Haft dennoch nicht: „Ich möchte kein Symbol sein. Aber ich werde mich für die Rechte von anderen in Russland Inhaftierten einsetzen.“ Und: „Weiterhin sind Freunde von mir in Haft. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass es in Zukunft keine politischen Gefangenen mehr gibt. Ich war nicht der letzte politische Gefangene.“

Angst. Nach Moskau zurückkehren wolle er momentan nicht: „Ich bin zwar frei, es gibt aber keine Garantie, dass ich wieder ausreisen darf.“

Über seine Zukunft habe er noch keine Vorstellung, sagt er: „Ich war zehn Jahre in Haft. Zehn Jahre nicht bei meiner Familie und hatte erst 36 Stunden Zeit, darüber nachzudenken.“ Außerdem sei die Welt heute eine ganz andere: „Als ich in Haft gekommen bin, hat es weder Facebook noch Twitter gegeben.“

Genügend Geld für ein neues Leben hat er. Sein Vermögen wird auf 200 Millionen Euro geschätzt: „Meine finanzielle Situation erfordert nicht, dass ich nur deshalb arbeiten müsste, um Geld zu verdienen.“

Familie: Erstes Treffen mit Sohn nach 10 Jahren

Glück. Als Michail Chodorkowski 2003 verhaftet wurde, war sein ältester Sohn Pawel, heute 28 Jahre alt, gerade in Amerika. Er kehrte nicht mehr nach Moskau zurück. Nach acht Jahren konnte er erstmals mit seinem Vater telefonieren. Nun das große Wiedersehen in Berlin. Pawel lebt in New York, hat in Boston studiert. Tochter Anastasia besuchte ein Schweizer Internat, studiert jetzt in Moskau Sozialpsychologie.

Die beiden Zwillingsbrüder Illja und Gleb (17) leben bei Chodorkowskis Ehefrau Inna (43) in Moskau. In Berlin auch die Eltern: Marina und Boris. Besonders tragisch: Marina Chodorkowski, die der Ex-Oligarch über alles liebt, ist an Krebs erkrankt.

Olympia-Boykott: "Nur kein Fest für Putin"

Boykott. Zahlreiche Politiker wollen die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi boykottieren, darunter auch der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck.

Michail Chodorkowski hält wenig davon: „Das ist ein Fest des Sportes, ein Fest für Millionen Menschen. Man sollte es nicht verderben, das würde ich nicht empfehlen. Es soll nur kein Fest für Putin werden.“ Politiker sollten im Gespräch mit Putin aber immer daran denken, dass es in Russland noch immer viele politische Gefangene gibt.

"Werde in Zukunft nicht um Polit-Macht kämpfen"

Er will seine Familie genießen und für andere politische Häftlinge in Russland kämpfen.
Chodorkowski hätte mit seinem Erzfeind Putin öffentlich abrechnen können. Er tat es nicht. Das sagte er in Berlin:

  • Über seine plötzliche Freilassung aus dem Straflager:

Chodorkowski: „Es war 2 Uhr nachts, als der Chef des ­Lagers mich geweckt hat und mir gesagt hat, dass ich jetzt nach Hause darf. Erst im deutschen Flugzeug habe ich erfahren, dass es nach Berlin geht.“

  • Über eine baldige Rückkehr nach Russland:

Chodorkowski: „Ich habe vorerst ein Visum für ein Jahr in Deutschland. Ich darf auch jederzeit zurück nach Russland, leider habe ich aber keine Garantie dafür, dass ich Russland dann wieder verlassen darf. Deshalb werde ich vorerst nicht nach Russland zurückkehren. Es gibt noch immer Gründe, für die man mich festhalten kann.“

  • Über seine Gefühle gegenüber Präsident Putin:

Chodorkowski: „Putin ist ein schwieriger Mensch. Ich hoffe, dass die Politiker der Welt jetzt nicht vergessen, dass ich nicht der letzte politische Gefangene in Russland war.“

  • Über politische Abrechnung im Putin-System:

Chodorkowski: „Ich habe immer verstanden, dass hier ganz harte Spiele gespielt werden. Das ist in meinem Fall besonders stark zum Ausdruck gekommen. Gleichzeitig möchte ich aber sagen, dass man sich gegenüber meiner Familie immer sehr loyal und menschlich verhalten hat.“

  • Über sein Comeback in der Wirtschaft und Geld:

Chodorkowski: „Es gibt keine Pläne für eine Rückkehr in die Wirtschaft. Ich habe in meiner Karriere alles erreicht, was ich erreichen wollte. Meine finanzielle ­Situation erfordert nicht, dass ich unbedingt arbeiten müsste, um Geld zu verdienen. Ich möchte den Menschen meine Schulden zurückzahlen, die das zu Recht von mir erwarten.“

  • Er wollte Putin stürzen, jetzt sagt er über Polit-Ziele:

Chodorkowski: „Es geht nicht um den Kampf um Macht. Ich habe nicht vor, mich ­politisch zu betätigen. Ich möchte aber, dass es den Menschen in Russland ein bisschen besser geht.“

  • Über die neue Welt:

Chodorkowski: „Die Welt ist heute eine andere, eine faszinierende. Als ich in Haft kam, gab es Facebook und Twitter noch gar nicht.“

  • Über Polit-Häftling Julia Timoschenko in der Ukraine:

Chodorkowski: „Von ganzem Herzen wünsche ich mir, dass auch Julia Timoschenko schon bald freikommen wird.“

Karl Wendl

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