Israelische Soldaten:

"Wir sind wie die Stasi - nur effizienter"

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Kritik am eigenen Staat: Elite-Einheit enthüllt Israels Geheimdienst-Methoden.

Eine israelische Elite-Einheit stellt sich gegen Israels Methoden: Die Soldaten wollen sich nicht mehr an Spitzeleien und Einsätzen gegen die Palästinenser beteiligen. Kollegen brandmarken sie als Verräter.

Deutscher Kinofilm war Auslöser
Die Zweifel kamen mit einem deutschen Film. Der israelische Soldat D. sah sich "Das Leben der Anderen" an, ein Drama, in dem die Staatssicherheit der DDR ein Künstlerpaar abhört - und so zerstört. D. spürte Mitleid mit den Opfern, denen die Privatsphäre - ein fundamentales Recht - genommen wurde. Plötzlich durchfuhr es ihn: In der Rolle des Stasi-Mitarbeiters erkannte er sich selbst. "Wir tun genau dasselbe", sagte D. der israelischen Nachrichtenseite "ynet". "Nur sehr viel effizienter."

Statement gegen Bespitzelung
D., der nicht mit vollem Namen genannt wird, ist Reservist der Elite-Einheit 8200 der israelischen Armee, zuständig für Informationsbeschaffung. Am Freitag wandten sich 43 Mitglieder der Einheit an die Öffentlichkeit. In einem Brief kündigten Israels beste Späher an, künftig nicht mehr gegen die Palästinenser spionieren zu wollen. "Wir können nicht mit gutem Gewissen weiterhin in diesem System dienen und die Rechte von Millionen Menschen verletzten", heißt es in dem Schreiben.

Hexenjagd auf Homosexuelle
Die israelische Nachrichtenseite "ynet" hat mit sechs der Unterzeichner gesprochen. Ein Jahr hätten die Soldaten über den Brief nachgedacht, bevor er zu Papier kam. Aus moralischer Sicht sei es ihnen nicht möglich, ihre Arbeit weiterzuführen, sagte D. demnach.

In dem Interview erzählen die Soldaten offen von ihrem Dienst als Lauscher. Sie seien angehalten worden, besonders auf "pikante" Details zu achten. "Zum Beispiel auf finanzielle Probleme, die sexuelle Orientierung oder eine schwere Krankheit bei ihm oder in der Familie", sagte N., eine Reservistin, die den Brief ebenfalls unterzeichnet hat. "Wenn Du homosexuell bist und über zwei Ecken jemanden kennst, den Israel sucht, macht Israel dir das Leben zur Hölle."

Keine Rücksicht auf Zivilisten
N., eine Übersetzerin für Arabisch, hat auch in Teams gearbeitet, die für Informationen über militärische Ziele der Armee im Gazastreifen zuständig waren. Sie hat verfolgt, wenn Israels Luftwaffe diese Ziele schließlich angriff. In den Sekunden nach dem Einschlag der Bombe sei es in dem Raum still geworden. "Wenn wir getroffen hatten, füllten Applaus und Freudenjubel den Raum", erinnert sich N. Ob Zivilisten bei dem Angriff verletzt wurden, habe niemanden interessiert.

Die israelische Gesellschaft, so die Soldaten, lebe in dem Glauben, dass nur potenzielle Terroristen in das Visier der Späher gerieten. Doch ein großer Teil der Abgehörten seien unschuldige Zivilisten und hätten nichts mit Gewalt gegen Israel zu tun. Davon zu erzählen, sei der Auftrag der Verweigerer.

Gruppe als Verräter gebrandmarkt
Besonders dankbar ist man ihnen bisher nicht. Die Zeitung "Maariv" zitierte einen ehemaligen Kommandant der Einheit mit den Worten: "Wenn das stimmt und ich ihr Kommandant wäre, würde ich sie alle vor Gericht stellen und Gefängnis fordern." Das israelische Fernsehen berichtete, die Kollegen der Soldaten seien wütend über den Brief. Und eine rechtsgerichtete Nichtregierungsorganisation forderte Medienberichten zufolge, die Soldaten allesamt unehrenhaft zu entlassen.

Nicht nur Kollegen und Verbände kritisieren die Soldaten. Auch Menschen, die ihnen nahestehen, tun das. "Meine Familie unterstützt meinen Entschluss nicht, den Brief zu unterschreiben", sagte N. "ynet" zufolge. "Sie sehen mich an, als sei ich irgendeine Extremistin."

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