Nach Irlands NEIN

Der Gipfel der Ratlosigkeit

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Prügel für Irland, Forderungen nach einem neuerlichen Referendum: Bei der Lösung des blockierten Reformprozesses tappt die EU im Dunkeln.

Zum Auftakt des Gipfels in Brüssel musste sich die irische Regierung am Donnerstag die Rolle des Nestbeschmutzers im Staatenbund gefallen lassen: Nach dem Nein zum Reformvertrag erwarte er sich vom irischen Premier Brian Cowen „einige Skizzen für Auswege“, so Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker: Die übrigen EU-Staaten müssten dann prüfen, „ob wir folgen können“.

Irland nimmt EU „als Geisel“
Noch deutlicher wurde der belgische Premier Ives Leterme. Wenn 26 der 27 Mitgliedsstaaten Ja zu Lissabon sagen, dann können die Iren die EU nicht als Geisel nehmen“, so Leterme.

Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat eine Neuverhandlung des Lissabon-Vertrages ausgeschlossen: „Wir werden den Text des Vertrages nicht wieder aufmachen.“ Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy schlägt ein zweites Referendum in ­Irland vor. Und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erwartet ohnehin keine Lösungsvorschläge vor Oktober.

Keine Vorschläge vor Oktober
Der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende betonte, die EU brauche nach dem irischen Nein mehr Zeit. "Ich würde nicht sagen dass es eine Krise gibt", sagte er. Der Lissabon-Vertrag biete große Vorteile und mache die EU demokratischer, betonte Balkenende.

Ab April 2009 in Kraft?
Der dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen will, dass der in Irland bei einem Referendum gescheiterte Lissabon-Vertrag spätestens am 1. April 2009 in Kraft tritt. "Das ist ein optimistischer und anspruchsvoller Zeitplan", meinte er. Der Vertrag müsse vor den Wahlen zum Europaparlament im Juni kommenden Jahres von allen 27 Mitgliedstaaten gebilligt sein. Wenige Stunden vor Beginn des EU-Krisengipfels in Brüssel hatte zudem Großbritannien den Reformvertrag ratifiziert.

Merkel gegen Kerneuropa
Inmitten der Ratlosigkeit fand zumindest Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel klare Worte: Sie sprach sich gegen ein Kerneuropa aus reformwilligen EU-Staaten aus. Solche Überlegungen würden keinen Schritt weiterführen, so Merkel. Und: „Wir brauchen den Vertrag von Lissabon. Ein besseres Reformpaket kann nicht geschnürt werden.“

Streit um Kommissar
Seit der Erweiterung hat jedes der 27 Mitgliedsländer einen Posten in der Schaltzentrale der EU. Nach dem Nizza-Vertrag müsste die nächste Kommission, die im November 2009 ins Amt kommt, um mindestens eine Person verkleinert werden. Doch die Mitgliedsländer fürchten Diplomaten zufolge eine Diskussion darüber, wer verzichten soll. Die Sorge, keinen Kommissar mehr in Brüssel zu haben, war einer der Gründe dafür, dass 53,4 Prozent der irischen Wähler am 12. Juni Nein zum Vertrag von Lissabon sagten. Dieser sieht eine Verkleinerung auf zwei Drittel der EU-Länder und ein Rotationssystem allerdings erst ab 2014 vor.

Um die Kommission 27 Frauen und Männer groß zu lassen, müsste der bestehende EU-Vertrag also geändert werden. Doch das erfordert wiederum von allen 27 EU-Ländern eine Ratifikation. In einem Aufwasch mit einer anderen Vertragsänderung wäre die Sache mit der Kommission voraussichtlich frühestens Ende 2009 bei einem Beschluss über die Aufnahme Kroatiens in die EU zu erledigen. Eine Verknüpfung, die weitere politische Risiken bringen könnte.

In Brüssel ist das nach acht Jahren Beschäftigung mit einer neuen Rechtsgrundlage eine Horrorvorstellung. Die EU will stattdessen lieber greifbare Ergebnisse für Bürger und Unternehmen bringen, um gegen die Europa-Skepsis vorzugehen. Stattdessen muss sie immer wieder die Hausordnung verhandeln.

Deadline
Deadline: März 2009. Als Deadline für die Lösung des Reform-Dilemmas gilt der März 2009. Denn im Juni wird das EU-Parlament gewählt. Dass das reformkritische Tschechien dann den EU-Vorsitz innehaben wird, werten viele als schlechte Voraussetzung.

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