Vorhof der Hölle

Verschollen in Transkarpatien

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Nicht nur aus Afrika drängen viele Menschen nach Europa: In ukrainischen Lagern an der EU-Außengrenze fristen Tausende Asiaten ein trauriges Dasein.

Bestialischer Gestank dringt aus einer Baracke, die sie Toilette nennen. In den überfüllten Schlafsälen zerbröseln verdreckte Matratzen, elektrisches Licht ist reine Glückssache. Gekocht wird in einem Holzverschlag mit einer verwitterten Gulaschkanone, aus der meist gelblich-schleimiger Brei geschöpft wird. Wenn einmal pro Tag ein verbeulter Tank herangekarrt wird, prügeln sich bis zu 500 Menschen um ein paar Schluck genießbares Trinkwasser. Gibt es eine Hölle, dann ist Pavshino, eines von drei ukrainischen Flüchtlingslagern an der EU-Außengrenze, der Vorhof.

Selbst nach vier Wochen auf dem ehemaligen Militärgelände starrt Abraham Badr Mohamed immer noch fassungslos auf die desolaten Behausungen: " Unglaublich, welch armes Land die Ukraine ist." Als die Grenzsoldaten den 32-jährigen Palästinenser aufgriffen, nahmen sie ihm zu allererst Armbanduhr, Gürtel, Bargeld und Zigaretten ab. Jetzt muss er gemeinsam mit 40 Landsleuten in der sengenden Hitze im heißen Staub sitzen, die Stimmung brodelt nicht nur wegen der 35 Grad. Es gab eine Schlägerei mit Chinesen bei der Essensausgabe. "Aber bestraft werden immer nur wir", klagt Abraham. Doch das ist bei weitem nicht sein größtes Problem.

5.000 Flüchtlinge pro Jahr
In Transkarpatien, dem westlichsten Teil der Ukraine, stranden jährlich rund 5.000 Flüchtlinge: Chinesen, Pakistani, Vietnamesen, Palästinenser, Mongolen, Iraker, Georgier, Moldawier, Bengalen und Singhalesen investierten tausende US-Dollar in Schlepper, um schließlich - die EU in greifbarer Nähe - in drei Lager gepfercht zu werden, Männer und Frauen voneinander getrennt. Asylanträge zu stellen, ist in Transkarpatien übrigens vergebene Liebesmüh: 2005 wurde kein einziger positiv behandelt.

"Warum ich hierher gekommen bin? Ich musste! Ich wäre gerne in meiner Heimat geblieben, aber das war unmöglich." Als Abraham vor zwei Jahren von der Arbeit kam, war sein Haus weg, Eltern und Großmutter tot. Eine israelische Bombe hatte seine Familie ausgelöscht. Jetzt hat der 32-Jährige nur noch seine Schwester, die in Wien lebt. "Sie weiß nicht, wo ich bin und ob ich noch lebe", ist Abraham verzweifelt. Kontakt zur Außenwelt ist nahezu unmöglich, denn telefonieren mit einem der wenigen, nicht völlig zerstörten Apparate geht nur mit Wertkarte - und die reicht maximal für ein zweiminütiges Inlandsgespräch.

Der 150 Kilometer breite Grenzstreifen zu den neuen EU-Ländern Slowakei, Ungarn und Polen wird von mehr als 1.000 Soldaten, den "Border Guards" , überwacht. Rund ein Drittel der Flüchtlinge wird bereits auf EU-Terrain aufgegriffen und in die Ukraine zurückgeschoben. "Nein, Geld bekommen wir dafür von der EU nicht", schüttelt Oberst Valkiv Oleg Igorovich, Befehlshaber der "Border Guards", den Kopf. Dennoch verfügen die Grenzsoldaten über einen modernen Fuhrpark und sogar Hubschrauber. Wärmebildkameras, sagt Igorovich, würde er sich noch wünschen. Damit kann man die Flüchtlinge in der Nacht viel besser aufspüren.

Caritas versucht zu helfen
Gegen all das Chaos und die Tristesse in den Lagern versucht die Caritas Österreich anzukämpfen. Seit zwei Jahren werden zuvor völlig unbekannte Dinge wie etwa Rechtsberatung angeboten, neue Lagertrakte gebaut und regelmäßige Lieferungen von Lebensmittelpaketen, Hygieneartikel und Medikamenten organisiert. Doch vieles von dem würden die Menschen außerhalb der stacheldrahtumhüllten Mauern auch benötigen. Denn die Arbeitslosigkeit beträgt in vielen Regionen Transkarpatiens bis zu 50 Prozent, der Durchschnittslohn von 750 Grivna monatlich entspricht knapp 120 Euro, die Lebenserhaltungskosten steigen ständig, das soziale Netz ist äußerst löchrig.

Abraham möchte dennoch bleiben: "Ich will hier leben und arbeiten - aber dazu brauche ich Dokumente. Ich bin nicht in die Ukraine gekommen, um im Gefängnis zu sitzen." Seine Zukunft ist ebenso ungewiss wie jene aller anderen Flüchtlinge. Moldawier und Georgier werden nach spätestens sechs Monaten mit dem Zug in die Heimat zurückgeschickt, der Rest irrt quer durch die Ukraine, versucht erneut den illegalen Grenzübertritt in die EU, wird aufgegriffen und landet abermals in einem der drei Lager in Transkarpatien.

Die Schlacht am Tank ist fast vorüber. Plastikflaschen und Kübel sind befüllt, manche haben das Wasser direkt aus Schläuchen gierig eingesogen. Mehr als zwei Liter pro Tag und Mann gibt es nicht. Abraham hat schon viel erlebt, aber sich der "Toilette" ohne Mundschutz zu nähern, das wagt er nicht. "Ich will hier weg", sagt er laut, während ihn die Soldaten im Vorübergehen misstrauisch mustern. "Wenn Besucher da sind, ist alles ok", sagt Abraham, "aber sobald wir alleine sind, werden die Duschen abgedreht. Und sie lassen uns wieder zur Strafe in der Hitze sitzen."

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