Gedenk-Stück

"Die letzten Zeugen" im Burgtheater

Teilen

Beeindruckender Erinnerungsabend mit Holocaust-Überlebenden.

"Die letzten Zeugen" sind 100 (Marko Feingold), 88 (Ari Rath), 85 (Vilma Neuwirth), 83 (Lucia Heilman und Rudolf Gelbard) und 81 Jahre alt (Susanne-Lucienne Rabinovici). Sie gaben am 20. Oktober ihr Burgtheater-Debüt und nahmen am Ende eines berührenden Erinnerungsabends die stehenden Ovationen des Publikums entgegen. "Wir hatten im Verlauf der Proben immer wieder Witze darüber gemacht, dass wir nun Burgschauspieler geworden sind", erzählte Rath etwas später bei einem Publikumsgespräch. "Für uns alle war es ein ganz besonderes Erlebnis. Wir hatten alle Tränen in den Augen."

Projekt unter Zeitdruck

Schon vor fünf Jahren habe er in Zürich ein Erinnerungsprojekt mit Holocaust-Überlebenden verwirklichen wollen, erzählte Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann zum Auftakt des Abends, der an vier weiteren Terminen wiederholt werden soll. Erst jetzt habe es dank des Schriftstellers und Historikers Doron Rabinovici geklappt. Wie knapp die Zeit wird, zeigt sich auch daran, dass Ceija Stojka, die siebente Zeitzeugin des Abends, nicht mehr persönlich teilnehmen konnte - sie war im Jänner 79-jährig gestorben. Wie nötig solche Veranstaltungen seien, hätte ihm noch am Vormittag die Reaktion der Wirtin seines Stammbeisls bewiesen, sagte Hartmann. Als er ihr über das Projekt, die Erinnerungen der "letzten Zeugen" auf die Bühne zu bringen, berichtete, habe sie gemeint: "Muss man heute wirklich noch so viel darüber sprechen?"

Berührende Geschichtsstunde
Die von Hartmann selbst besorgte Einrichtung des Abends gehorchte einer strengen Choreografie: Hinter mehreren Gazeschleiern, auf die Live-Großaufnahmen der Gesichter ebenso wie historische Fotos projiziert wurden, saßen die Zeitzeugen in einer Linie, mit den Gesichtern zum Publikum. Vorne rechts warteten die Schauspieler Mavie Hörbiger, Dörte Lyssewski, Peter Knaack und Daniel Sträßer auf ihre Einsätze, bei denen sie aus den Erinnerungen der anwesenden Holocaust-Überlebenden lasen. Gegen Ende dieses zweistündigen ersten Programmteils holte nach und nach jeweils ein Schauspieler einen Zeitzeugen nach vor, wo er bzw. sie einen kurzen persönlichen Text vorlas, vom Dank an den Retter (Lucia Heilman wurde von Reinhold Duschka, einem Freund ihres Vaters, versteckt) bis zur politischen Mahnung. Und Rudolf Gelbard sprach aus, was wohl alle Teilnehmer dachten: "Überleben ist ein Privileg, das verpflichtet!"

Erinnerungen an Todesangst und Niedertracht  
Ob das einzeln Abholen und von der Bühne Führen der Zeitzeugen die beste aller Ablauf-Ideen war, sei dahingestellt. Stringent war jedoch die Zusammenstellung der Texte (Dramaturgie: Andreas Erdmann), die laut Martina Maschke von "erinnern.at" auch gemeinsam in Buchform herausgegeben werden sollen. Der Bogen spannte sich vom "Anschluss" 1938, von der sofort einsetzenden Mischung aus Terror und Willkür ("Wir wurden von einem Tag auf den anderen zu Aussätzigen.") über die zunehmende strukturelle Gewalt, die den Lebensraum der jüdischen Bevölkerung systematisch einschränkte, bis zu den Transporten, den Konzentrationslagern und dem täglich neuen Überlebenskampf. Tief bewegend waren die Erinnerungen an Todesangst und Niedertracht, an große und kleine Heldentaten, an das vielfache Zusammenwirken von Mut und Glück, Schicksal und Zufall, das nötig war, immer wieder aufs Neue dem Tod zu entkommen. Entsetzliche Geschichten, die einem immer wieder den Atem nahmen.

Von der Bestie Mensch
Zu der tiefen Verstörung, erfahren zu haben, welche Dinge Menschen einander antun können, und der unvorstellbaren Kraft, die es braucht, mit diesen Erfahrungen weiterleben zu können, hätten sich später zwei Traumata hinzugesellt, hieß es bei drei nach einer Pause anschließenden moderierten Gruppengesprächen in den Foyers des Hauses immer wieder: der oft ungebrochene Antisemitismus, der auch nach dem Krieg den Überlebenden entgegenschlug, und die Scham und Trauer (und nicht selten auch der Erklärungsnotstand darüber), selbst überlebt zu haben, während Millionen andere gestorben waren. "Ich habe mein ganzes Leben meinen eigenen Shoah-Komplex, ein Schuldgefühl", sagte Ari Rath.

Ersschreckende Wissenslücken

Einigkeit herrschte darüber, wie wichtig es sei, über das Erfahrene und Durchlittene zu sprechen. Er sei immer wieder erstaunt, wie wenig Jugendliche über den Holocaust wüssten, obwohl sie in Österreich doch mit 16 Jahren bereits das Wahlrecht besäßen, meinte Rath. Und Susanne-Lucienne Rabinovici, Mutter von Doron Rabinovici: "Wir fühlen eine Forderung der Umgebrachten: Vergesst uns nicht! Erzählt es weiter!"

Info
"Die letzten Zeugen" stehen noch am 10. und 21. November, am 12. Dezember sowie am 26. Jänner 2014 auf der Bühne des Burgtheaters, www.burgtheater.at.



 

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.