Roman

Ein Mord 
und eine Spuren-Suche

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Norbert Gstrein begibt sich mit seinem neuen Roman in den Nahen Osten.

Ein kompliziertes Buch über ein kompliziertes Thema. Das könnte man über den neuen Roman In der freien Welt des in Hamburg lebenden Tirolers ­Norbert Gstrein sagen. Und es wäre wohl wahr. Wahr wie vieles andere auch. Denn es gibt keine ganze, umfassende, für jeden gültige Wahrheit. Davon erzählt das jüngst erschienene Buch vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts.

Rätselhafter Mord. Am Anfang steht ein rätselhafter Mord an einem 61-jährigen amerikanischen Maler und Underground-Dichter in einer dunklen Seitengasse von San Francisco. Ein Raubmord ist auszuschließen, denn bei Johns Leiche wurde Bargeld und sein Smartphone gefunden.

Reise. Niemand scheint so recht an der Aufklärung des Falls interessiert. Sein österreichischer Freund Hugo, tief getroffen von der Todesnachricht, macht sich auf die Reise und die Spurensuche. Es ist ein verwirrendes, vielfältiges, widersprüchliches Bild, das in der Folge entsteht, und dessen Einzelteile nicht so recht zusammenpassen wollen.

Zwischen den USA und Österreich, Israel und Palästina entfaltet sich die Geschichte, in der Privates immer auch politisch ist, jede Handlung als Statement gedeutet wird und der Frontverlauf sehr unübersichtlich ist.

Albtraum. Self-Portrait as a Hated Jew heißt das zentrale Bild einer verstörenden Bilder-Serie Johns, das ihm von Hugo abgekauft wurde und diesen in der Folge wie ein Albtraum verfolgt.

Bilder von einem Genie oder Stümper?

Ob diese Bilder nun von einem Genie oder einem kompletten Stümper gemalt wurden, bleibt ebenso in der Schwebe wie die übrigen, sehr unterschiedlich interpretierbaren Facetten einer Persönlichkeit: „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie er war“, gesteht Hugo am Ende des Buches Johns Tochter Zoe. Jedes Bild, das er durch Erinnerungen an ihn entstehen lasse, sei notwendigerweise „vollkommen falsch“.

Gstrein bettet diese Unmöglichkeit, Klarheit zu gewinnen bei dem gleichzeitigen Zwang, Position beziehen zu müssen, in ein sehr konkretes Umfeld. Seine Beschreibungen des prekären, von Gewalt und Unterdrückung, alltäglichem Schrecken und heroischem Überlebenswillen geprägten Lebens in Israel und Palästina, die hysterische Aufgeladenheit im Umgang mit der Thematik in den USA und die hilflosen Vermittlungsversuche einer österreichischen Kultur- und Intellektuellenszene sind akkurat und beschönigen nichts.

Minenfeld. Seine Figuren bewegen sich in einem Minenfeld, in dem Geschichte wie Gegenwart ein hohes Gefahrenpotenzial haben, einzelne Leben wenig wert sind, doch jeder Tod über hohe Symbolkraft verfügt.

Symbol. Ein propagan­distisch ausgeschlachtetes Symbol war auch der einstige Freiwilligeneinsatz Johns in der israelischen Armee. Seine Erlebnisse als Soldat hatten ihn wohl ernüchtert und schockiert, doch die Tagebücher seiner Kriegszeit bestehen aus nichts anderem als Kapitelüberschriften, in denen sich Schrecken und Schönheit gleichermaßen hineinlesen lassen.

Zeuge oder Täter. Was er damals tatsächlich erlebt hat, als Zeuge oder Täter, wird nie enthüllt, und auch die einzige detaillierte Beschreibung des Tathergangs seiner eigenen Ermordung stammt am Ende ausgerechnet von einem jungen palästinensischen Dichter, der sich mit John bei einer politisch-literarischen Veranstaltung im Salzkammergut auf dem Podium eine heftige Diskussion geliefert hatte und bei neuerlichen Unruhen ins Visier der israelischen Behörden gerät. Was an dem vermeintlichen Augenzeugenbericht erfunden ist und was nicht, bleibt ungeklärt.

Gstrein traut der 
Literatur vieles zu

Reale Welt. Gstrein traut der Literatur in seinem neuen Roman nicht nur enorm vieles zu, er beweist auch gleichzeitig, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Nur die Rettung der Welt schafft sie nicht. Das gelingt aber auch niemandem anderen. Weder In der freien Welt noch in der realen.

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