Friedhof in Prag

Heillos verschworen: Neuer Eco Roman

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Großmeister des Historienromans legt eine wirre Hommage an die Fälschung vor.

Eine zünftige Kontroverse, bei der vor allem Religionsvertreter - nicht nur katholische! - den Zeigefinger gegen einen historischen Roman aus der Feder eines Großmeisters wie Umberto Eco erheben - das kann durchaus als Leseempfehlung gewertet werden. Mit "Der Friedhof in Prag", der am Wochenende auf Deutsch erscheint (Hanser), hat der italienische Denker und Romancier eine Hommage an die Kunst und Macht der Fälschung geschrieben. Es will ein labyrinthisches Buch sein, ein verwirrendes und auch ein abstoßendes. Lesevergnügen bietet es dabei überraschend wenig. Am 19. Oktober stellt Eco seinen neuen Roman im Wiener Burgtheater vor.

Überall Verschwörung
Held, Erzähler, Auge und Ohr in der ausufernden Geschichte ist Simone Simonini, ein begnadeter Fälscher, der sich zwischen Risorgimento und Bonapartismus, Sizilien und Paris, Freimaurern und Jesuiten, Spionen und Antisemiten eine schillernde Laufbahn im dunklen Netzwerk des Kanalsystems und der Verschwörungsfanatiker ergaunert hat. Eine widerliche Figur, voller Hass auf Frauen, Juden, Jesuiten, Freimaurer, sämtliche Nationalitäten und auch sonst ziemlich jeden, der das Pech hat, ihm über den Weg zu laufen. Seine Abneigung gegen alles Sexuelle kompensiert er durch passioniertes Schlemmen, seine Ängste durch Intrigen, sein schlechtes Gewissen durch Persönlichkeitsspaltung.

Kritik
Wer eine dermaßen abstoßende Figur ins Zentrum seiner Geschichte stellt, der zielt auf die Lust am Grausen ab und verlangt vom braven, weltoffenen Leser gleichzeitig Dauerwiderstand. "Voyeurismus des Bösen" ortete die Vatikanzeitung "Osservatore Romano", jüdische Stimmen kritisierten die Missverständlichkeit der antisemitischen Ausbrüche, die ihre Synthese in Simoninis "Lebenswerk", der Erfindung und jahrelangen Ausschmückung der "Protokolle der Weisen von Zion" findet. Diese historische Fälschung über die angestrebte Weltherrschaft der Juden, die quer durch das 19. Jahrhundert in Europa Verbreitung fand und nicht nur von Hitler für wahr gehalten wurde, ist freilich nur eine von Dutzenden bedeutender Dokumenten - etwa in der Dreyfus-Affäre - mit denen Simonini in den Lauf der Geschichte eingreift.

Wahre Fakten
Und mit Geschichte kennt Eco sich aus. Die Fakten stimmen, bis auf Simonini selbst sei keine einzige Figur erfunden, so der streitbare piemontesische Professor. Und auch ihn, schreibt er im Vorwort, gebe es wirklich - bis heute, mitten unter uns. Der Kommentar zur Gegenwart, zur Macht der schieren Unwahrheit, die sich im Gewand längst bekannter Vorurteile Glaubwürdigkeit verschafft, gelingt aber nur halb. Zu gehetzt ist man als Leser in dem historischen Gewirr der Verschwörungen und Gegenverschwörungen, in denen sich Ego und Alter-Ego gleichzeitig herumtreiben. Zu absichtlich ist dieses Labyrinth angelegt, zu konstruiert der Ekel, der noch durch karikaturhafte Skizzen von Szenen und Personen gekitzelt wird.

Effekte der Ecolektüre
Dennoch - Ecofreunde dürfen sich über die vielgeliebten Effekte der Ecolektüre freuen: Wissensvermehrung, Vernetzung geschichtlicher Details, kuriose Figuren, gelehrte Betrachtungen zu Schrifttum, Fälschung und dem Verhältnis von Geschichten und Geschichte, die auch in Zeiten von WikiLeaks, 9/11-Verschwörungstheorien und twitternder Gerüchteküche gültig sind. Über die "Kraft des Falschen" spricht Eco auch im Burgtheater. Es ist aber die Kraft des Fabulierens, die seine Historienschinken schon so oft zu Bestsellern gemacht hat. In Italien gehört "Der Friedhof in Prag" bereits dazu.
 

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