Mann an der Spitze

Nestroy in Schwechat mit Aktualität

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Peter Gruber inszenierte eine kritische Parabel mit vielen Gegenwartsbezügen.

Für seine 39. Produktion bei den "Nestroy Spielen Schwechat" hat Intendant Peter Gruber eine Rarität ausgewählt: Am Samstagabend ist "Der Mann an der Spitze" (von Nestroy aus Vorsicht vor der Zensur mit dem unverfänglichen Titel "Lady und Schneider" versehen) im Hof von Schloss Rothmühle (Rannersdorf) zur Premiere gelangt. Fazit: keine epochale Wiederentdeckung, aber ein passendes - und passend bearbeitetes - Stück zur Zeit.

Gilt als kaum aufführbar

Bis heute als sperrig, kompliziert und kaum aufführbar geltend, meist seiner kritischen Aussagen beraubt und zur dürftigen Verwechslungsklamotte verstümmelt, fristete "Der Mann an der Spitze" bisher sein Los im Repertoire-Abseits. Dabei ist der Inhalt nicht ohne Brisanz: Ein Schneider mit dem schönen Namen Heugeign macht Karriere und erhofft sich sozialen Aufstieg und vor allem politische Macht. Nestroy spart nicht mit kräftigen Seitenhieben auf abgehobene Hof-und Adelsgesellschaft sowie stumpfes Kleinbürgertum, Gruber wendet die Stoßrichtung gegen politische Emporkömmlinge und unerfreuliche Phänomene unserer Tage. Am Ende fällt der populistisch fantasierende Heugeign aus allen Wolken, denn der neue Herrscher - unverkennbar der junge Franz Joseph - übernimmt das Ruder: Ein Schluss, der vermutlich keine aktuelle Parallele findet.

Schwechater Ensemble

Auf der von Alexandre Collon in drei Ebenen gestalteten Bühne - im wahrsten Sinne plakativ von Zeitungsannoncen aus der Nestroyzeit dominiert - agiert das wie immer köstlich aufspielende Schwechater Ensemble, allen voran der ausgezeichnete Christian Graf in der Hauptrolle, dessen ausführliche Monologe weite Strecken des Abends tragen. Liebenswert böhmakelnd gibt Bruno Reichert den alten Schneider Restl, Rebecca Alice Döltl ist sein schräges Töchterl, Benjamin Turecek ein windiger Sekretär Fuchs, Gabi Holzer eine schrille Baronin (Kostüme: Okki Zykan), Peter Kuno Plöchl und Horst Salzer verkörpern zwei Schneidergesellen und damit Volkes - dümmliche - Stimme. So richtig gut kommt da gar niemand weg, denn, so Nestroy: "Das Volk is ein Ries in der Wiegen, der erwacht, aufsteht, herumtargelt, alles zusammentritt und am End wo hineinfällt, wo er noch viel schlechter liegt als in der Wiegen."

Kabarettistische Revue

Auch heuer wird zum Nestroy-Frühstück mit Rebecca Döltl, Alex Lainer, Iris Seidl und Ben Turecek geladen, die - am 3., 10., 17. und 24. Juli - eine kabarettistische Revue ("Wir begehren ein Volk!") zum Besten geben. Die 37. Internationalen Nestroy-Gespräche auf Schloss Rothmühle (1. bis 4. Juli) widmen sich diesmal dem Thema "Routine und Experiment bei Raimund und Nestroy".

Nestroy Spiele Schwechat
Johann Nestroy, "Der Mann an der Spitze". Aufführungen bis 30. Juli. Tickets: Tel. 01 / 7078272, www.nestroy.at
 

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