Premiere

Ungewöhnlicher "Liliom" im Burgtheater

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Rutschbahn statt Ringelspiel. "Liliom" feierte Premiere im Wiener Burgtheater.

Jubelrufe & Applaus. Das Leben ist kein Ringelspiel, sondern eine Rutschbahn, auf der es in steilen Kurven abwärtsgeht. Das Jenseits ist kein Tanzcafé in Wien, sondern ein Containerbüro im Himmel, in dem das Radio höchst irdische Schlagermusik spielt. In Barbara Freys "Liliom"-Inszenierung, die Samstag Abend im Burgtheater Premiere hatte, ist vieles etwas anders als gewohnt. Dazu zählt auch, dass weniger die Tränendrüsen als die Lachmuskeln bedient werden. Am Ende gab es nach zweieinhalb Stunden vor allem für die Schauspieler herzlichen, von einzelnen Jubelrufen begleiteten Applaus.

Im Vorfeld wurden alle Beteiligten nicht müde zu betonen, sich herzlich wenig um Aufführungstraditionen der 1909 in Budapest uraufgeführten und 1913 erstmals in Wien gezeigten "Vorstadtlegende" von Franz Molnár zu kümmern. Tatsächlich hat man das viel gespielte Stück um eine ungewöhnliche Liebesgeschichte ohne Happy End noch selten so herb, so unsentimental, so unkitschig gesehen. Die auf der Rundbühne platzierten und mit zahllosen aufgereihten Glühlampen beleuchteten Schauplätze (Bühnenbild: Bettina Meyer) könnten überall und nirgends sein. Dafür nimmt man auch Unplausibilitäten in Kauf: Was gewinnt man etwa, wenn die von Esther Geremus gestalteten Kostüme am ehesten auf 50er- und 60er-Jahre verweisen, obwohl sich die beiden Freundinnen Julie und Marie minutenlang über Uniformfarben samt dazugehörenden Säbeln zu unterhalten haben?

Zeit und Raum
Die Schweizerin Frey gibt ihren Schauspielern viel Zeit und Raum, fast hört man Horváth'sche Stillen zwischen den Sätzen. Nur bei Andreas Zavoczki, als Ausrufer "Liliom" im Prater eine lokale Berühmtheit, können Faust und Mundwerk mitunter blitzschnell das Denken ersetzen. Lieber hinhauen als hinschauen. Nicholas Ofczarek setzt diese Paraderolle zunächst aus Versatzstücken zusammen, die man aus einigen seiner Rollengestaltungen kennt, für die er bekannt und bewundert wurde: ein Druckkochtopf mit großer körperlicher Präsenz und starker Tendenz zum Explodieren, sich seiner Wirkung sehr bewusst und in Rededuellen wie Handgreiflichkeiten mit seiner Chefin, der Ringelspielbesitzerin Muskat (toll als geschäftstüchtige, doch eifersüchtige Bissgurn: Barbara Petritsch), ganz in seinem Element.

Die Konfrontation mit dem Dienstmädchen Julie, die Katharina Lorenz als still leidende Schmerzensfrau gestaltet (ganz im Gegensatz zu Mavie Hörbiger, die mit leicht ironischer Distanz ihre Marie als naives Plappermäulchen zeichnet, die schließlich in bürgerlicher Schein-Idylle endet), entlockt ihm auch verhaltene, zarte Töne. Die erste Annäherung der beiden wird im Wortsinne berührend. Dass in dem Kraftlackel ein großes, trotziges Kind verborgen ist, das lieber arbeitslos ist, als sich bei Frau Muskat zu entschuldigen, das Liebe als Schwäche begreift, die man lieber nicht zugeben sollte, versucht Ofczarek auch durch Vergrößerung der übrigen Emotionen zu zeigen. Julie kriegt ein Kind? Liliom flippt aus vor Freude. Liliom verspielt beim Warten auf den Geldboten (extra dry: Hermann Scheidleder) noch vor dem Überfall seinen ganzen Anteil beim Kartenspiel an seinen kriminellen Freund Ficsur (schmal und gefährlich: Daniel Sträßer)? Liliom beginnt zu quengeln.

Spannung nach Pause

Barbara Frey und Nicholas Ofczarek gelingt dabei etwas Unterhörtes: Je tragischer das Geschehen wird, desto lustiger wird es. Das Antreten Lilioms vor dem himmlischen Kanzleibeamten (unnachahmlich mit feiner Klinge: Peter Matic) wird zum komischen Kabinettstück, die Selbstbefreiung Lilioms, der sich nach missglücktem Raub durch Selbstmord der Verhaftung entzogen hat, von dem noch immer in seiner Brust steckenden Messer, ist purer Slapstick. Die Untertöne, in denen sich andeutet, dass ihm bei seiner Rückkehr auf die Erde in der Begegnung mit der mittlerweile 15-jährigen Tochter (artig, aber selbstbewusst: Jasna Fritzi Bauer) die Situation entgleitet, er zum Hitzkopf von einst und damit seine Bewährungsprobe versemmeln wird, sorgen immer wieder für befreiende Lacher im Publikum.

In der Prater-Hochschaubahn "Dizzy Mouse", die für das Bühnenbild das Vorbild geliefert hat, darf man sich über die Werbung freuen. Diese Aufführung rüttelt einen gehörig durcheinander, ohne, dass es einem dabei schlecht wird. Dieser "Liliom" ist gut, obwohl er nicht zu Herzen geht. Und obwohl die Botschaft, Schläge des geliebten Gatten oder Vaters täten keinesfalls weh, Tiefschläge in das politische Bewusstsein des emanzipierten Publikums von heute sind.

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