Winterreise

Jelinek-Stück in München uraufgeführt

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Johan Simons Uraufführung bietet gespenstische Kampusch-Szenen.

Schon vor Beginn der Aufführung heult der Sturm durch die Gänge der Münchner Kammerspiele, und für seinen ersten Auftritt durch eine Tür im Eisernen Vorhang muss sich der Wanderer (Stefan Hunstein) mit aller Kraft gegen die von der Windmaschine entfachten Naturgewalten stemmen. Johan Simons macht viel Wind um Elfriede Jelineks "Winterreise". Doch während hinter der Bühne ein veritabler Schneesturm tobt, ist es auf den rohen, weit in den Zuschauerraum reichenden Bühnenbrettern immer wieder gespenstisch still. Es ist auch die Stille eines Kellers, von dem die ganze Welt sprach. Die Mitwirkung eines Natascha Kampusch-Doubles (Kristof Van Boven) ist einer der stärksten Eindrücke, die diese Uraufführung hinterlässt, die am Donnerstagabend, 3.2. wohlwollend aufgenommen wurde.

Liederzyklus von Franz Schubert

Die " Winterreise ", die Jelinek auf Anregung der Münchner Kammerspiele geschrieben hat, ist in dem bei Rowohlt erschienenen Buch ein 120 Seiten langer Text, der in acht Abschnitten Motive des berühmten Liederzyklus von Franz Schubert und Wilhelm Müller in sehr freier Weise weiterschreibt - ins Heute ebenso wie ins Private. Simons hat gemeinsam mit Dramaturgin Julia Lochte stark gekürzt und eine dreieinviertel Stunden lange Spielfassung für sieben Schauspieler und einen Musiker erarbeitet, die die innere Struktur der Vorlage bewahrt und die wichtigsten Motive herausarbeitet.

Maskiert
Eine "tragische Komödie" nennt Simons, durch zahlreiche Festwochen-Gastspiele auch in Wien bekannt und seit dieser Saison Intendant der Kammerspiele, das Stück. Der Tragödien-Teil ist Natascha Kampusch gewidmet und variiert den Neid der Mitmenschen auf die ihr gewidmete mediale Öffentlichkeit - was in der Anlage mitunter an Kathrin Rögglas Stück "Die Beteiligten" erinnert. Das Mädchen mit perfekter, doch erstarrter Maske und einstudierten, mechanischen Gesten kommt dabei kaum zu Wort und flüchtet sich zu dem von André Jung gespielten Vater, der im ersten Teil sprachlos bleibt, dafür nach der Pause mit einem großen Monolog das Geschehen dominiert.

Bezüge zu eigener Familiengeschichte
Jelinek hat hier unübersehbar Bezüge zu ihrer eigenen Familiengeschichte eingebaut, die noch dadurch unterstützt werden, dass sich die Figuren von Hildegard Schmahl unschwer Jelineks dominanter Mutter und jene der großartigen Wiebke Puls der Autorin selbst zuordnen lassen. Puls ist neben Hunstein und Jung die beste Sprecherin des Abends, trifft den nötigen, mit ständigen Brüchen und Rhythmuswechseln arbeitenden Sprachduktus am Besten, saust schnippisch und aggressiv über komplizierteste Textpassagen, um im nächsten Augenblick mit gespielter Naivität scheinbar alles wieder zu hinterfragen.

Banken-Hochzeit
Als Komödie ist dagegen Jelineks Echo auf die Affäre rund um die Hypo Alpe Adria Bank inszeniert, die Banken- als Bauernhochzeit, bei der die Alpen und die Adria vermählt werden, der Bräutigam (Hunstein) eine blauweiße Schärpe trägt und die dickliche Braut (Benny Claessens) als fette Beute winkt. Hier wimmelt es von derben Späßen und platten Anspielungen, und "die Stiftung stiftet den Schleier und stellt sich dann selber drunter. Mehr Platz ist dort nicht. Die Stiftung wird für die Verschleierung benützt."

Kaum entschlüsselbar
Der in einen Skianzug gesteckte und ständig auf der Bühne anwesende Pianist (Jan Czajkowski) lässt immer wieder zarte Anklänge an Schubert hören, ist insgesamt aber weit weniger im Einsatz, als man sich wünschen würde. Dafür gibt es auch hübsche, gesungene und gesummte Liedpassagen, die ein wenig an klassische Marthaler-Abende erinnern. Mit der Familiengeschichte des Regisseurs verknüpfte Motive wie Filmaufnahmen von Überschwemmungen oder der Auftritt eines offenbar sprachbehinderten Buben mit Holzschuhen (Katja Herbers) lassen sich dagegen ohne Lektüre des Beipacktextes kaum entschlüsseln.

Keine schlechte Mischung
Insgesamt positioniert sich Johan Simons mit dieser Uraufführung im weiten Spektrum der Jelinek-Regisseure irgendwo zwischen Jossi Wieler und Nicolas Stemann. Nicht so vorsichtig tastend wie der eine, nicht so radikal und eigenmächtig auftrumpfend wie der andere. Also keine schlechte Mischung. Und dennoch ist man neugierig, wohin die "Winterreise" auf anderen Bühnen gehen wird.
 

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