A4-Flüchtlingsdrama

71 Tote in Lkw: Prozess beginnt kommende Woche

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Elf Angeklagte - vier Beschuldigten droht lebenslange Haft.

Im historischen Gerichtssaal von Kecskemet startet in der kommenden Woche der mit Spannung erwartete Prozess gegen elf mutmaßliche Schlepper, die für den Erstickungstod von 71 Flüchtlingen verantwortlich sein sollen. Der Kühl-Lkw mit den Leichen wurde im August 2015 an der Autobahn bei Parndorf im Burgenland entdeckt. Die Verdächtigen müssen mit hohen Haftstrafen rechnen.

Ein Verdächtiger auf der Flucht

Den elf Angeklagten werden u. a. qualifizierter Mord und Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Zehn Beschuldigte werden am 21. Juni aus den Gefängnissen in Budapest und Kecskemet in das Gerichtsgebäude des ungarischen Komitats Bacs-Kiskun gebracht. Ein weiteres Bandenmitglied, ein 44-jähriger Bulgare, befindet sich noch auf der Flucht. Gegen ihn wird in Abwesenheit verhandelt, wie Gerichtssprecher Szabolcs Sarközy betonte. Wo sich der 44-Jährige aufhält, ist unklar. Am 22., 23., 29. und 30. Juni sind weitere Prozesstage geplant, danach wird der weitere Prozessplan fixiert. Ein Urteil soll noch in diesem Jahr gefällt werden.

Die ungarischen Behörden haben gemeinsam mit den österreichischen Ermittlern den Fall akribisch aufbereitet. Im November 2015 wurde entschieden, dass das Verfahren an die ungarischen Behörden abgetreten wird. Trotz der Komplexität und der grenzübergreifenden Ermittlungen kommt die Causa nun nach nur zwei Jahren vor Gericht. Gerichtssprecher Sarközy betonte die gute Zusammenarbeit mit den österreichischen Behörden. Da der Kühlwagen in Kecskemet angemietet wurde, führt das Gericht in der 110.000-Einwohner-Stadt den Prozess.

Hohe Haftstrafen erwartet

Vier Angeklagte wurden nicht nur wegen Mitgliedschaft einer Schlepperorganisation angeklagt, ihnen wird auch qualifizierter Mord vorgeworfen, was in Ungarn eine weitaus höhere Strafe bedeutet. Im Fall der erstickten Flüchtlinge handelte es sich nämlich nicht nur um mehrfachen Mord, unter den Opfern waren auch Kinder, was eine solche Qualifikation rechtfertigt. In Ungarn wurde nämlich auch 2012 das Strafgesetz verschärft. Deshalb beantragte die Staatsanwaltschaft bei den vier Haupttätern lebenslanges Zuchthaus. Bei den vier Beschuldigten handelt es sich um den Kopf der Bande, ein 30-jähriger Afghane, seinem Kompagnon, ein 31-jähriger Bulgare, der die Schlepperfahren organisiert haben soll, sowie der bulgarische Fahrer des Lkws (26 Jahre) und ein bulgarischer Begleiter (39 Jahre).

Die Bande, die mit der Schlepperei ihr Geld verdiente, soll laut Anklage mehr als 1.200 Menschen illegal nach Westeuropa gebracht haben. Dabei kassierte der Bandenchef mehr als 300.000 Euro. Seit Juni 2015 schmuggelte die Gruppe verstärkt Flüchtlinge von Serbien über Ungarn nach Österreich bzw. Deutschland. 31 solcher Fahrten konnte die Staatsanwaltschaft in Ungarn nachweisen.

"Unmenschliche Umstände"

Der 30-jährige Chef der Schlepperbande kassierte nicht nur die Gelder, sondern organisierte gemeinsam mit dem 31-jährigen Bulgaren und einem 52-jährigen bulgarisch-libanesischen Staatsangehörigen von Februar bis August 2015 die Fahrten. Meist verwendeten sie Lieferwagen, die für den Personentransport völlig ungeeignet waren, "geschlossen, dunkel und luftlos", so beschrieb es die Staatsanwaltschaft. Die Flüchtlinge seien "unter überfüllten, unmenschlichen und qualvollen Umständen gereist". Es gab Fahrten, bei denen an die 100 Menschen in ein Fahrzeug gepfercht wurden. Begleitet wurden die Schleppungen von sogenannten Vorläuferwagen, die die Gegend auskundschafteten.

Wie dramatisch die Fahrt am 26. August 2015 nach Österreich war, zeigt die Rekonstruktion der ungarischen Staatsanwaltschaft. Um 5.00 Uhr wurden die 71 Flüchtlinge - 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder - bei Morahalom an der serbisch-ungarischen Grenze in den Kühl-Lkw gepfercht. Die Menschen sollten über mehrere ungarische Autobahnen nach Österreich geschleust werden. Das Schwerfahrzeug, das aus Kecskemet stammt, wurde von dem 26-jährigen Bulgaren gefahren, begleitet von dem 39-jährigen Landsmann, der in dem Vorläuferwagen voraus fuhr.

Flüchtlinge erstickten qualvoll

Bereits nach einer halben Stunde Fahrt machten die in den Lkw gepferchten Migranten lauthals darauf aufmerksam, dass sie keine Luft mehr bekamen. Sie klopften und hämmerten gegen die Wände und schrien verzweifelt. Das hörte der Fahrer und berichtete sowohl seinem bulgarischen Chef als auch dem afghanischen Bandenchef telefonisch darüber, doch beide wiesen ihn an, weder den Wagen zu stoppen noch die Türen zu öffnen, so die Ankläger. Die 71 Menschen erstickten qualvoll in dem Lkw, noch auf ungarischem Staatsgebiet. Innerhalb von drei Stunden waren alle Flüchtlinge tot, wie die Staatsanwaltschaft ausführte. Als die beiden Bulgaren die österreichische Grenze überfuhren, stellten sie den Kühlwagen auf der A 4 bei Parndorf ab und flüchteten mit dem Vorläuferwagen nach Ungarn.

Obwohl alle 71 Flüchtlinge bei der Fahrt ums Leben kamen, organisierte die Schlepperbande nur einen Tag später ohne Skrupel eine weitere Fahrt mit Migranten in einem Kühllastwagen. Wieder waren 67 Menschen ohne Luftzufuhr eingepfercht. Nur durch viel Glück überlebten sie die Fahrt, weil sie die Tür des Laderaums mit den Füßen aufstießen.

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