"Gewaltabwendung"

Expertennetzwerk gegen Radikalisierung in Haft

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Knapp 60 radikalislamische Terrorverdächtige in österreichischen Gefängnissen.

Die Attentäter von Paris, die im Jänner 2015 den Anschlag auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo verübt haben, hatten sich im Gefängnis kennengelernt und waren dort unter den Einfluss eines radikalen Islamisten geraten. Etwas, was der Wiener Pädagoge und Extremismus-Forscher Moussa Al-Hassan Diaw auch in österreichischen Justizanstalten für möglich hält.

"Besonders Dschihadisten, die aus den Kriegsgebieten in Syrien oder dem Irak heimkehren, könnten radikale Ideen und Ideologien auch im Gefängnis vermitteln. Wir kennen zumindest einen konkreten Fall, wo jemand extremistische Ideen während seiner Haftzeit auch übernommen hat", sagte Diaw am Rande einer Extremismus-Tagung in Salzburg im APA-Gespräch. Diaw ist Mitglied des Vereins "DERAD" - ein Netzwerk aus Islamwissenschaftlern, Politologen, Religionspädagogen und Sozialarbeitern - der im Februar vom Justizministerium mit der Extremismusprävention im heimischen Strafvollzug beauftragt wurde.

Schulungen für Justizbeamte

"DERAD" kümmert sich üblicherweise um Personen, die wegen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (Paragraf 278b StGB) ins Gefängnis gekommen sind. Der Verein geht aber genauso auf gefährdete Insassen zu und bietet Schulungen für Justizbeamte oder Präventionsbeamte der Polizei an. "Wir sind da, wenn es um religiös begründeten politischen Extremismus geht", erklärte Diaw. "Aber wir wurden auch schon gebeten, mit einem Mitglied der Freeman-Bewegung zu sprechen. Es gibt da strukturelle Ähnlichkeiten: Die Ablehnung des Staates, die Rebellion gegen das System, Unzufriedenheit, Frustration."

Islamistisch-radikale Gefangene würden sich in ihrer Motivation, ihrer Herkunft und ihrem Alter nach durchaus unterscheiden. "Aber viele von ihnen haben das Gefühl, sie gehören nicht hier her und können sich nichts von der Gesellschaft erwarten. Sie suchen deshalb nach Alternativen. Aber es gibt auch Leute, die aus Freundschaft zu bestimmten Personen mit ihnen den gleichen Weg gehen."

Gewaltabwendung als wichtigster Schritt

In der Arbeit von "DERAD" sei der erste Schritt immer, Häftlingen die Gewaltbereitschaft zu nehmen, etwa mit Beziehungsaufbau und gemeinsamer Auseinandersetzung mit weltanschaulichen Inhalten. In einem zweiten Schritt versuche man, Insassen von ihren extremistischen Überzeugungen abzubringen. "Es geht darum, Alternativen zu ihrer Weltanschauung anzubieten oder die Ideologie, die sie als die einzig Wahre ansehen, zu dekonstruieren." Ein weiterer Schritt sei die Demobilisierung - das Erreichen von Führungspersönlichkeiten. Wenn diese ihre Einstellungen überdenken, soll das auch auf andere Mitglieder der Gruppe abfärben. Ganz am Ende stünde - theoretisch - der Ausstieg. "Ob das alles so funktioniert, wie man sich das vorstellt, ist eine andere Frage. Aber die Gewaltabwendung ist der wichtigste Schritt", betonte Diaw.

Bei der Vereinsarbeit spielen nicht nur Fakten über islamische Geschichte, Politik und Religion eine Rolle. "Wir versuchen mit Empathie zu arbeiten, zu verstehen, warum diese Leute so sind." Zentral für den Erfolg sei auch das Zusammenspiel aller Akteure: den Justizwachebeamten, dem psychologischen und sozialen Dienst, dem Verfassungsschutz, später der Bewährungshilfe. "Wir haben einen Zugang zur Vorstellungswelt dieser Personen, was Weltanschauung, politische Ideologie und Religion betrifft, weil wir diese theoretisch und praktisch kennen. Dafür erfahren Psychologen und Sozialarbeiter Dinge, die uns Insassen vielleicht nicht sagen."

Keine Zusammenarbeit mit islamischen Seelsorgern

Keine große Rolle bei der Entradikalisierung maß Diaw im APA-Gespräch den islamischen Seelsorgern in den heimischen Gefängnissen bei. "Die islamische Seelsorge möchte wegen des Dienstgeheimnisses mit uns nicht zusammenarbeiten. Mit den Fachdiensten in den Justizanstalten klappt es sehr gut."

Laut Auskunft des Justizministeriums saßen mit Stand 23. November insgesamt 56 Terrorverdächtige in Österreichs Gefängnissen, 31 davon in Untersuchungshaft. "DERAD" führte bis dato Gespräche mit 63 Insassen, die aber nicht alle radikalisiert waren. "Da waren auch Abklärungsgespräche dabei", sagte Diaw.

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