Hilfe verboten

A22-Unfall: Schwere Vorwürfe von Soldaten

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Nach der tödlichen Massenkarambolage auf der A22 am Donnerstag behaupten nun Grundwehrdiener, die Hilfeleistung sei ihnen untersagt worden.

Die Vorwürfe der Grundwehrdiener gegen ihre vorgesetzten wiegen schwer: Demnach hätten sie bei einer Übung Nebelgranaten gezündet. Der Rauch der Granaten, sei direkt auf die Autobahn zugetrieben, sagen sie. Obwohl der Horrorunfall bemerkt worden war, sei die Übung nicht abgebrochen worden, sagte ein Grundwehrdiener gegenüber den Zeitungen. Die Vorgesetzten hätten angeordnet, noch mehr Nebelgranaten zu zünden.

Hilfe untersagt
Zudem hätten sie den Grundwehrdienern verboten, den Unfallopfern zu helfen. In der Kaserne seien sie zusätzlich eingeschüchtert worden.

Granatenreste gefunden
Unmittelbar nach dem verheerenden Unfall hatten Ermittler Granatenreste gefunden. Von Seiten des Bundesheeres heißt es dazu, man glaube nicht, dass die Rauchentwicklung etwas mit der Bundesheerübung zu tun habe. Einerseits sei der Wind in eine andere Richtung gegangen, außerdem würden sich diese Rauchschwaden nach etwa 50 Meter auflösen und das Übungsgelände sei viel weiter vom Unfallort entfernt.

Massenbefragungen
Laut einem Sprecher des Militärkommandos NÖ hat eine eigene Bundesheer-Untersuchungskommission am Montagfrüh in Wien-Stammersdorf ihre Arbeit aufgenommen. Am Montag wurden etwa 70 Personen befragt, die an der Nachtlehrvorführung am Donnerstagabend teilgenommen hatten.

Das Gelände, auf dem den Rekruten die Wirkung von Signalmitteln und Nebelhandgranaten erläutert werde, befindet sich 260 Meter von der Unfallstelle auf der A22 entfernt. Untersucht werde unter anderem, ob die Sicherheitsbestimmungen eingehalten wurden.

Schutz der Rekruten?
Zu den bekanntgewordenen Vorwürfen von Rekruten, sie hätten am Unfallort nicht helfen dürfen, sagte ein Oberst, der Übungsleiter habe festgestellt, dass bereits genügend Einsatzfahrzeuge angerückt waren. Zum Schutz der Rekruten, die erst in ihrer zweiten Ausbildungswoche standen, wäre ein Hilfseinsatz auf der Autobahn unverantwortlich gewesen.

Darabos droht
Verteidigungsminister Norbert Darabos erklärte die Untersuchung des Vorfalls am Montag zur "Chefsache". "Über den Fortlauf der Untersuchungen lasse ich mir stündlich berichten. Sollte schuldhaftes Verhalten vorliegen, wird es harte Konsequenzen geben".

Im Interview mit ÖSTERREICH erhebt Augenzeuge Reinhard S. (Name v. d. Redaktion geändert) schwere Vorwürfe

ÖSTERREICH: Wie haben Sie den Unfall auf der Autobahn erlebt?

Reinhard S. (19): Wir hörten einen Knall und wussten, da ist was Grobes passiert.

ÖSTERREICH: Wie nahe waren Sie dem Crash?

Reinhard S.: Die Autos brannten vielleicht 100 Meter von uns entfernt.

ÖSTERREICH: Ein Teil Ihrer Kollegen sind Medizinstudenten, die ganze Truppe hat einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Hätten Sie nicht sofort helfen können?

Reinhard S.: Wir wollten ja, aber unsere Ausbilder haben uns zurückgehalten. Wir mussten dem Drama tatenlos zuschauen. Es waren sogar einige Ärzte anwesend, die haben aber aus irgendwelchen Gründen auch nicht eingegriffen.

ÖSTERREICH: Aber die ganze Truppe ist doch speziell dafür ausgebildet.

Reinhard S.: Ja, aber unser Oberstabswachtmeister hat es ausdrücklich verboten. Warum er diesen Befehl gegeben hat, weiß ich nicht.

ÖSTERREICH: Als Sie wieder zurück in der Kaserne waren, wie ging es da weiter?

Reinhard S: Wir mussten antreten und wurden von unseren Ausbildern zum Schweigen vergattert und mit Strafen bedroht. Der Oberstabswachtmeister sagte: „Nur ein Trottel geht mit so etwas an die Öffentlichkeit.“

ÖSTERREICH: Warum haben Sie ÖSTERREICH angerufen?

Reinhard S: Das Verhalten unser Ausbilder ist nicht tolerierbar, menschenverachtend und gehört abgestellt. Solche Typen haben beim Heer nichts verloren. Meine Grundwehrdiener-Kollegen und ich möchten auf diesem Weg der Familie der Toten unser tiefstes Beileid aussprechen.

Identität weiter offen
Nach wie vor ist unklar, wer die umgekommene Lenkerin ist. Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass es sich um eine etwa 30-jährige Frau aus Tschechien handelt, heißt es aus der Staatsanwaltschaft Korneuburg. Die Leiche wird am Mittwoch obduziert. Die Frau war in ihrem Fahrzeug eingeklemmt worden und verbrannt.

Verdacht auf fahrlässige Tötung
Die Wracks werden weiter von der Kriminaltechnik untersucht, und zahlreiche Angehörige des Bundesheeres werden einvernommen. Die Staatsanwaltschaft führt Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung.

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