Das Protokoll

ÖSTERREICH-Reporterin beim Amoklauf von Traisen

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ÖSTERREICH-Reporterin Ulli Kittelberger verfolgte gestern fünf Stunden lang den dramatischen Amoklauf von Walter Windbichler. Das Protokoll:

Der Tag endet, wie sein ganzes Leben. Mit einer Niederlage. In einer kleinen Zelle am Polizeiposten Traisen im Bezirk Lilienfeld sitzt Walter Windbichler (49), sein Gesicht ist abgeschürft, sein Oberkörper nackt. Traurig, gebrochen sieht er mich an und fast weinerlich meint er: „Warum haben sie mich nicht sterben lassen?“

Hier klicken: Die dramatischen Stunden in Traisen

Es ist ein scheinbar völlig anderer Mensch, der Stunden vorher, um 10.30 Uhr bei uns in der ÖSTERREICH-Redaktion anruft. Ich hebe mein Telefon ab, eine mir damals noch unbekannte Stimme herrscht mich an: „Komm vorbei! Ich mach dem Ganzen jetzt ein Ende.“ Nach einer Schrecksekunde frage ich ihn, was denn los sei, wo er sich aufhält. Ich merke, dass der Mensch am anderen Ende nervös, aber entschlossen wirkt. „Ich stehe hier am Voest-Gelände in Traisen, und ich werd mich hier erschießen.“

Vertrauen
Meine Hände zittern, er erzählt, dass er eine Waffe hat und auch schon einen ehemaligen Kollegen angeschossen hat. Den Grund, den er nennt: Er hatte einen Job im Werk, doch weil er sich weigerte, ungesichert am Glasdach zu arbeiten, habe man ihn gefeuert. Seitdem gehe sein ganzes Leben „den Bach runter“. Ich höre zu und versuche das einzig mögliche: Vertrauen aufzubauen. „Ich komme gleich, ich setz mich ins Auto und bin bald da, bitte machen Sie keinen Blödsinn.“

Dann geht alles wie im Zeitraffer. Minuten später sitze ich mit meinem Fotografen im Auto, mehr als 90 Kilometer sind es von Wien nach Traisen. Am Telefon sagt mir der Pressesprecher der Voest, dass Windbichler nur ein Monat als Leiharbeiter dort gearbeitet habe, dass seine Version der Geschichte so nicht bekannt sei. Dann rufe ich noch einmal bei Windbichler an. „Ich bin unterwegs, keine Sorge, alles wird gut“, versuche ich ihn zu beruhigen. Und tatsächlich, er möchte reden, will meinen Vornamen, „Ich bin die Ulli“. Für einen kurzen Moment scheint er sich zu beruhigen. „Weißt du, die letzten Monate waren die Hölle für mich. Weißt du, wie furchtbar es ist, arbeitslos zu sein?“ Ich schweige.

Nachdem ich aufgelegt habe, rufe ich das Landeskriminalamt an. Mittlerweile ist die Polizei dort. Ich weiß, dass sie ihn umzingelt haben. Meine Informationen sind für die weitere Vorgehensweise vielleicht wichtig. Kurz danach ruft mich auch der Leiter des Sondereinsatzkommandos Cobra an. „Was hat er vor, will er auch anderen schaden? Was können Sie mir über seine Persönlichkeit sagen?“ Die Polizei versucht indes, mit Windbichler Kontakt aufzunehmen, will seine Forderungen wissen. Was mich selbst verwundert: Er will mich sehen. „Melden sie sich, wenn sie am Tatort sind, er will das so“, lautet die Anforderung des Cobra-Mannes.

Zu gefährlich
Am Voest-Gelände selbst herrscht, als wir eintreffen, große Nervosität. Die Polizei hat die mehr als 100 Mitarbeiter in Sicherheit gebracht. Journalisten und Fotografen treffen ein, ich melde mich bei der Polizei, möchte gern mit ihm sprechen. Doch die Sicherheit lässt das nicht zu. Er ist bewaffnet, hat bereits geschossen, ich bin eine ungeschützte Zivilistin, niemand könne das verantworten. Trotzdem richten ihm die Beamten aus, dass ich da bin. Telefonieren kann er jetzt ohnehin nicht mehr, sein Akku ist mittlerweile leer.

Zugriff
Dann um 14.53 Uhr ist es so weit. Die Cobra lässt einen Hund von der Kette, er entwaffnet Windbichler innerhalb weniger Sekunden. Die Fahrt ins Krankenhaus ist Routine, seine Wunde muss gereinigt werden, ich darf danach in seine Zelle. Und sehe ihm zum ersten Mal in die Augen. Glasig blickt er durch mich hindurch. Er hatte sich für heute so viel vorgenommen, er wollte sterben. Doch die Polizei hat ihn nicht erschossen. Und so bleibt für ihn als einziges eine weitere Niederlage.

ÖSTERREICH hat das einzige Interview mit dem Amokläufer. Nach der Verhaftung durch die Polizei bestand der Niederösterreicher darauf, mit ÖSTERREICH-Reporterin Ulli Kittelberger zu reden.

ÖSTERREICH: Hallo Herr Windbichler. Wir haben miteinander telefoniert. Ich hab versprochen, dass ich komme. Wollen Sie jetzt mit mir sprechen?

Walter Windbichler: Na sicher. Aber haben Sie überhaupt so viel Zeit? Weil ich hab ja jetzt endlos Zeit.

ÖSTERREICH: Die Zeit kann ich mir nehmen.

Windbichler: Ich wollte immer öffentlich machen, wie schlecht in dem Betrieb alles läuft. Wenn man dort anfängt, muss man haufenweise Umweltunterlagen durchsehen. Das sind Wälzer. Und dann sind aber die Geräte, mit denen man arbeiten muss so alt, dass sie noch aus der Zeit vom Hitler stammen könnten.

ÖSTERREICH: Warum haben Sie auf ihren ehemaligen Arbeitskollegen, den Leopold K. geschossen?

Windbichler: Ich wollt einen Warnschuss abgeben. Ich hab’s heute wirklich ernst gemeint. Aber es ist mir egal, wie es dem jetzt geht. Hab ich ihn richtig getroffen – nein, ich glaub nicht. Ist ja auch egal.

ÖSTERREICH: Was hat Herr K. denn gemacht? Warum sind sie so sauer auf den, dass Sie ihn töten wollten?

Windbichler: Ich hab bei der Voest auf einem Glasdach arbeiten müssen, das hätte jeden Moment durchbrechen können. Ich wollte mich immer dafür einsetzen, dass die Arbeit dort sicherer wird. Aber ich hab trotzdem rauf müssen und ich habe mich geweigert.

ÖSTERREICH: Und was ist dann passiert?

Windbichler: Dann ist er zum Meister gegangen und am Abend hab ich die Kündigung gehabt. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie mich die Arbeitslose zermürbt hat.

ÖSTERREICH: Und deshalb wollten Sie sich heute umbringen?

Windbichler: Ja, mir ist alles egal. Ich habe abgeschlossen. Warum haben mich die Kiberer nicht einfach erschossen?

ÖSTERREICH: Wollten Sie wirklich sterben? Es wäre Ihnen lieber gewesen, dass sie die einfach erschießen? Sie haben doch Frau und Kinder.

Windbichler: Die Frau wollte mich eh verlassen. Ich hab sie betrogen, sagt sie. Ich hab einer anderen auf die Brust gegriffen. Vielleicht ist das ja wirklich Betrug. Ist meine Schuld. Meiner Tochter geht’s auch ohne mich gut. Die ist im Kindergarten. Der Christina würde ich niemals was tun.

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