ÖSTERREICH-Interview

Gusenbauer kritisiert die ÖVP

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Nach sieben Monaten großer Koalition hält sich die Begeisterung des Bundeskanzlers in Grenzen. Für ihn ist der Koalitionspartner ÖVP ein "Verhinderer".

ÖSTERREICH: Herr Bundeskanzler, Sie spazieren manchmal von ihrer Wohnung im 7. Wiener Gemeindebezirk ins Bundeskanzleramt. Ganz ohne Bodyguard. Haben Sie nicht Angst, für gebrochene Wahlversprechen von Bürgern attackiert zu werden?

Alfred Gusenbauer: Also bisher haben mir die Menschen immer nur gratuliert, die mich angesprochen haben. Es waren also weder politische Gegner noch Journalisten, die mich gesehen haben. Es ist aber wirklich einer der großen Vorzüge Österreichs, dass man sich als Spitzenpolitiker völlig frei bewegen kann.

ÖSTERREICH: Wo sich wenig bewegt, ist bei Vorhaben der Regierung. Der Grund?

Alfred Gusenbauer: Die ÖVP verlegt sich zu oft darauf, Nein zu sagen. Sie ver- und behindert die Vorhaben. Oder sie versucht, zumindest den Status quo zu erhalten.

ÖSTERREICH: Müssen Sie Ihrem Koalitionspartner also nicht sagen: Runter von der Bremse, rauf aufs Gas?

Alfred Gusenbauer: Dieses Motto gilt täglich. Die für die SPÖ zähe Aufgabe besteht darin, unseren Koalitionspartner immer wieder einen Schritt mitzunehmen. Denn für mich ist es wichtig, dass man am Ende des Tages zu Kompromissen bereit ist.

ÖSTERREICH: Kompromisse, die hauptsächlich von der SPÖ eingegangen werden …

Alfred Gusenbauer: Ja, denn ich will etwas verändern. Wenn man wie die ÖVP nur seinen sturen Standpunkt vertreten will und der Meinung ist, man braucht nichts zu ändern, der Status quo reicht, dann ist es ganz einfach. Aber wenn man wie die SPÖ Dinge positiv verändern will, dann muss man kompromissbereit sein.

ÖSTERREICH: Ist das nicht ein täglicher Koalitions-Krampf?

Alfred Gusenbauer: Ein Krampf ist ein schmerzvoller Zustand, den man immerhin lösen kann. In der Regierung ist es hingegen ein tägliches Ringen um Ergebnisse und um das eigenständige Profil von zwei Parteien. Was allerdings verstärkt werden sollte, ist das Ringen um die Zustimmung der Bevölkerung. Ich habe nichts dagegen, wenn zwei Parteien versuchen, ihr Profil zu stärken. Aber was ich nicht für gut finde, wenn sich zwei Parteien in permanenten Streitereien verheddern und die Leute am Ende gar nicht mehr wissen, worum überhaupt gestritten wird und nur mehr überbleibt, dass gestritten wurde.

ÖSTERREICH: Aber Sie sind doch der Chef der Regierung …

Alfred Gusenbauer: Ich versuche zu überzeugen und Lösungen zu erreichen. Denn der SPÖ ist klar: diese Republik ist nicht auf Justament-Standpunkten aufgebaut. Wo stünde Österreich heute, wenn man in der Republik – wie die ÖVP jetzt – immer nur Justament-Standpunkte vertreten hätte? Die ÖVP muss hier wieder staatstragender werden. Denn es ist nötig, bereit zu sein, Kompromisse einzugehen. Für mich ist klar, den Partner ein Stück des Weges mitzunehmen und an der Hand zu nehmen, um neue Lösungen zu erzielen – auch wenn das nicht immer zu 100 Prozent das ist, was man sich vorstellt.

ÖSTERREICH: Der Bürger spürt dieses Mosaik des Misstrauens, das sich in der Koalition aufgebaut hat. Wie sollen die Bürger dieser Regierung vertrauen können?

Alfred Gusenbauer: Wenn die Menschen der Regierung nicht sehr vertrauen, verstehe ich sie völlig. Klar ist, dass sich die Bevölkerung eine Regierung wünscht, die wie geschmiert funktioniert. Das erste halbe Jahr war nicht jene Balance, die sich viele – inklusive mir – vorstellen. Das ist absolut verbesserungswürdig.

ÖSTERREICH: Wo hakt es im Moment inhaltlich am meisten?

Alfred Gusenbauer: Es gibt eine Reihe von Themen, wo es unterschiedliche weltanschauliche Auffassungen gibt. Vor allem in der Bildung. Die SPÖ will mehr Bildung mit besserer Qualität für möglichst viele. Die ÖVP will früh Leistungsstarke von Leistungsschwachen trennen.

ÖSTERREICH: Hier bewegt sich also inhaltlich nichts …

Alfred Gusenbauer: Es bewegt sich in sehr viel kleineren Schritten, als mir lieb wäre. Aber die Schritte gehen zumindest in die richtige Richtung. Aber es könnte hier größere und schnellere Schritte geben.

ÖSTERREICH: Wie geht es eigentlich den Kindern, die bei Ihnen Nachhilfe bekommen haben. Durchgekommen?

Alfred Gusenbauer: Jemand, der von mir Nachhilfe bekommt, dem geht es gut.

ÖSTERREICH: In den kommenden Monaten gibt es zwei Großereignisse in Österreich. Das erste ist der Papst-Besuch. Was erwarten Sie sich?

Alfred Gusenbauer: Wir freuen uns alle, dass der Papst nach Österreich kommt. Ich bin der Meinung, dass die römisch-katholische Kirche eine wesentliche Rolle in der Frage der Formulierung der sozialen Gerechtigkeit spielt. Es kann ein wirklich sehr gelungener Besuch werden, wenn die Kirche versucht, ihre Öffnungstendenzen weiter zu verstärken. Es wäre der falsche Weg, wenn sich die Kirche den modernen gesellschaftlichen Strömungen verschließen würde. Ich erwarte mir vom Besuch des Heiligen Vaters Sig­nale in die andere Richtung.

ÖSTERREICH: 2008 folgt dann das nächste Highlight für Österreich: Die Fußball-EM.

Alfred Gusenbauer: Auf den Juni 2008 freue ich mich sehr. Es wird eine große Chance für Österreich, sich nicht nur als ein Land des hohen Lebensstandards, der Innovation und des Fremdenverkehrs zu präsentieren, sondern auch als ein Land des Sports, der Party und der guten Laune. Wir sind guten Mutes, es werden schöne Stadien und auch die Public-Viewings werden entgegen engstirniger Einwände gut.

ÖSTERREICH: Was sind die wichtigsten Projekte bis dahin?

Alfred Gusenbauer: Von der Kinderbetreuung – da habe ich größere Hoffnung, was die zukünftige Gestaltung der bisher verkorksten Angelegenheit betrifft – bis zum Klimaschutz und der Bildungsreform ist für genügend Arbeit gesorgt. Aber der Juni 2008 wird großartig: Da steht Österreich bei der EM im Mittelpunkt des Weltinteresses.

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