Zu wenig Personal

Staatsanwaltschaft Wien "säuft demnächst ab"

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Die größte Anklagebehörde des Landes hat viel zu wenig Personal - Akten bleiben liegen - die Kollegen leiden an Burnout.

Die Staatsanwaltschaft Wien steht vor dem Kollaps. Die größte Anklagebehörde des Landes fordert dringend zusätzliches Personal, da sich mit den derzeitigen Ressourcen die Fülle an Aufgaben kaum mehr bewältigen lassen. "Speziell die Sondergruppen sind völlig überlastet. Bei großen Verfahren kann man nur mehr schauen, dass man diese über die Bühne bringt", meint Staatsanwältin Michaela Schnell. Für den Blick in die Tiefe bleibe oft keine Zeit mehr.

20 Ankläger mehr
20 zusätzliche Staatsanwälte und ein entsprechendes Mehr an Kanzleikräften verlangt daher Behördensprecher Gerhard Jarosch, "wobei diese Forderung vor allem an den Bundeskanzler und den Finanzminister geht". Neben dem Anstieg an Großverfahren, die vor allem die Wirtschaftsgruppe und die Abteilung zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität belasten, hätten die Ankläger vor allem mit den Auswirkungen der Strafprozess-Reform zu kämpfen.

Folgen der Novelle
Die derzeit 90 Wiener Staatsanwälte müssen seit Anfang 2008 Verfügungen und Anordnungen treffen, die bisher dem U-Richter vorbehalten waren oder die überhaupt von der Polizei erledigt worden sind. Bei Suchtgiftdelikten wandern etwa alle Observationen, verdeckte Ermittlungen und Scheingeschäfte über den Schreibtisch des zuständigen Anklägers, der daneben den Überblick über sämtliche anderen anhängigen Verfahren bewahren und den Neuanfall abarbeiten muss.

"Wir saufen ab"
"Bei vielen Kollegen bleiben inzwischen Akten liegen, obwohl sie bis in den Abend hinein arbeiten und sogar am Wochenende ins Büro kommen. Man schaut, dass man die Haftsachen zügig abarbeitet, und um den Rest kümmert man sich, wenn man ein bisschen Luft hat", berichtet eine erfahrene Staatsanwältin, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Ihr Fazit: "Wenn sich nichts ändert, saufen wir demnächst ab."

Erfahrene Kollegen gehen
In Folge der Arbeitsbedingungen ist die Stimmungslage bei der Staatsanwaltschaft Wien im Keller angesiedelt. Zahlreiche erfahrene Ankläger haben in den vergangenen Monaten die Behörde verlassen, "weil einfach absehbar war, dass die Arbeit mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr machbar ist", wie ein Ex-Ankläger, der ebenfalls anonym bleiben will, sagte.

Burn-Out-Syndrom
Knapp ein Drittel aller österreichischen Staatsanwälte ist in Wien tätig. Laut Bundesrechenzentrum haben diese von Jänner bis September 2008 44,5 Prozent aller Grundrechtseingriffe und 68 Prozent aller Telefonüberwachungen bearbeitet. Dieser Arbeitsanfall war für einige einfach zu viel: Ein Kollege befindet sich seit Monaten wegen eines ärztlich bescheinigten Burn-Out-Syndroms im Krankenstand.

Rette sich, wer kann
Andere Staatsanwälte wiederum bemühen sich, an andere Dienstorte zu wechseln, wobei es sich dabei nicht nur um die "üblichen" Ziele - Oberstaatsanwaltschaft und Oberlandesgericht - handelt. Speziell in der Wirtschaftsgruppe ist die personelle Situation beinahe prekär: Nach dem Abgang der beiden BAWAG-Staatsanwälte Ronald Schön und Georg Krakow fehlen die erfahrensten, nach Dafürhalten renommierter Strafverteidiger auch kompetentesten Spezialisten für Wirtschaftsstrafsachen. Junge, oft erst vor kurzem ernannte Ankläger, müssen plötzlich Großverfahren betreuen.

"Alle fischen im Teich"
"Wir sind der Teich, in dem alle fischen. Die Staatsanwaltschaft Wien ist der Ausbildungspool für andere Institutionen", konstatiert Behördensprecher Gerhard Jarosch. Das ehre zwar die Staatsanwaltschaft Wien, "doch auf der anderen Seite fehlen diese Leute natürlich".

Bandion-Ortner reagiert
Das Justizministerium will die personellen Engpässe in der Justiz zu einem großen Thema bei den Budgetverhandlungen machen. Justizministerin Claudia Bandion-Ornter will sich für eine Aufstockung des Personals stark machen.

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