Seit Jahresbeginn

Strafprozessreform schafft massive Mehrarbeit

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Drei Monate nach Inkrafttreten der Reform ist der eklatante Personalmangel bei Richtern, Staatsanwälten und Kanzleikräften unübersehbar.

Das neue Straf-Vorverfahren ist aus Sicht der Richter und Staatsanwälte nicht wirklich gut angelaufen. Die Staatsanwälte klagen über Probleme bei der Aktenübermittlung, einen überschießenden bürokratischen Aufwand und schweren Personalmangel bei den Kanzleikräften. Die Richter erachten ihre personelle Ausstattung auch als "viel zu schlecht". Von "praktischen Umsetzungsproblemen" sprechen die Strafverteidiger, sie rechnen aber mit einer baldigen Besserung.

Zahllose Überstunden sind normal
Aus Sicht der Staatsanwälte ist die StPO-Reform - die seit Jahresanfang in Kraft ist - zwar sinnvoll. Das Personal - vor allem im Kanzleibereich - muss aber ihrer Ansicht nach dringend aufgestockt werden. Bei den Staatsanwälten selbst sind in Wien noch nicht alle Stellen besetzt und wohl auch einige Planposten mehr nötig. Derzeit wird jedenfalls an Abenden und Wochenenden gearbeitet.

Beim Kanzleipersonal ist laut Staatsanwaltschaft die Situation wirklich eng. Auf zwei Staatsanwälte kommt derzeit eine Kanzleikraft - und nötig wäre ein Verhältnis von 1:1. In zwei Monaten sind im Kanzleibereich unbezahlt 1.000 Überstunden - denn pro Person werden nur 15 ausbezahlt - geleistet worden.

Viel mehr bürokratischer Aufwand
Grund für die gigantische Mehrarbeit ist auch der mit den neuen Opfer- und Beschuldigten-Rechten gestiegene Bürokratie-Aufwand. So muss der Ankläger bei jeder Bestellung eines Sachverständigen Polizei, Opfer und Beschuldigten verständigen und eine Woche warten, ob Einspruch erhoben wird. Auch z.B. bei einem behaupteten Peitschenschlag-Syndrom nach einem Verkehrsunfall. Und das sind Massenfälle.

Anzeigen bleiben 8 Tage liegen
Bei der Aktenübermittlung durch die Polizei besteht auch ein großes Problem. Wegen eines technischen Nadelöhrs hängen Anzeigen rund acht Tage bei der Polizei, ehe sie elektronisch an die StA übermittelt werden. Dringende Akten - z.B. in Haftsachen - müssen deshalb persönlich ins Landesgericht getragen werden.

Richter sind 100 Mann zuwenig
Die personelle Ausstattung der Richter ist ebenfalls mangelhaft. Insgesamt fehlen laut Richtervereinigung 100 Richterposten. Mit der Reform wurde zwar der Untersuchungsrichter abgeschafft und dem Staatsanwalt die Leitung im Vorverfahren übertragen. Für die Richter brachte sie aber teils deutlichen Mehraufwand und teils schwierige Aufgaben.

Reform bringt Mehrarbeit
So bekommt der Ermittlungsrichter - der für die Genehmigung von Grundrechtseingriffen und Entscheidungen über Rechtsmittel zuständig ist - den Akt oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium und muss dann in sehr kurzer Frist Entscheidungen treffen. Und häufig wird in einem viel früheren Stadium angeklagt, weshalb der Hauptverhandlungs-Richter selbst fehlende Ermittlungen oder Vernehmungen durchführen muss. In Summe werden die Verfahren dadurch länger.

Rechtsanwälte in der Warteschleife
Die Strafverteidiger melden Probleme bei der Akteneinsicht. Es dauert im Regelfall zweimal so lange wie bisher, teilweise sehen Anwälte den Akt in der Haftverhandlung zum ersten Mal - und beim Recht auf den Anwalt ab der ersten Einvernahme.

Berger will noch zuwarten
SPÖ-Justizministerin Maria Berger zeigt zwar Verständnis für die Nöte der Justiz und will das Personal auch aufstocken, wenn nötig. Allerdings könnte man die Auswirkungen der Reform erst nach einem halben Jahr beurteilen. Wenn die Arbeitsbelastung tatsächlich über längere Zeit besteht, will Berger "personell helfen".

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