Scharfe Kritik an Regierung

Kern: "Die FPÖ ist besessen von mir"

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SPÖ-Chef hält an seiner Kritik der permanenten Abwertung demokratischer Strukturen fest.

SPÖ-Chef Christian Kern bleibt bei seiner scharfen Kritik an der ÖVP-FPÖ-Regierung, die er in einem Interview mit der deutschen "Welt" als "lupenrein rechtspopulistische bis rechtsdemagogische Regierung" bezeichnet und der er eine "permanente Abwertung demokratischer Strukturen" vorgeworfen hatte. Dass Kern dafür von Regierungsvertretern gerüffelt wurde, beeindruckt den SPÖ-Chef offenbar nicht.

"Ich bleibe dabei. Der Tatbestand der Majestätsbeleidigung ist seit 1918 in Österreich abgeschafft", sagte Kern in Alpbach im APA-Interview. Beispiele für die Abwertung demokratischer Standards gebe es genügend. Ein klassischer Fall sei etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). "Man marschiert dort ein, setzt sich über alle Regeln hinweg und desavouiert eine wichtige Institution, die für Sicherheit sorgt." Ein anderes Beispiel sei der Umgang mit Pressefreiheit. Da würden ganze Mediengattungen und einzelne Journalisten "in Bausch und Bogen diffamiert", so Kern. "Ich bin auch nicht immer mit der Berichterstattung zufrieden, aber am Ende ist zu akzeptieren, dass die Medien eine wichtige Aufgabe der Kontrolle der Regierung haben und Transparenz zu schaffen. Wenn ich das zerstöre und diskreditiere, alles über meine eigenen Social Media-Kanäle mache und eine eigene Gegenwelt aufbaue, dann zerstört das potenziell auch demokratische Strukturen."

"Wir haben alle die Lektionen der Geschichte gelernt"

Und es gehe auch um die "Repräsentanteninstitutionen", erklärte der SPÖ-Chef. "Einen Juncker als Trunkenbold zu diffamieren, einen Bundespräsidenten schlimm anzurempeln, das ist in Österreich eine Novität. Egal, wie man dazu gestanden ist, es war immer außer Streit, dass man mit Repräsentanten der EU oder Österreichs sorgsam umgeht." Stattdessen werde das "System" permanent heruntergemacht. "Es wird ja von manchen auch ganz bewusst von Systemparteien oder Systemmedien geredet. Wir wissen, wo das historisch herkommt."

"Ich stelle die FPÖ sicher nicht unter Naziverdacht, aber wir haben alle die Lektionen der Geschichte gelernt. Wir wissen, wie es beginnt, und wir haben einmal die Erfahrung gemacht, wie es aufhört. Darum muss man das diskutieren, wenn Grenzen überschritten werden, und kann es nicht einfach hinnehmen." Auch er werde von den Freiheitlichen immer wieder persönlich diskreditiert. "Die FPÖ ist besessen von mir. In FPÖ-Medien wie Wochenblick, Info-Direkt oder Unzensuriert komme ich öfter vor wie Strache. Das sind alles Umgangsformen, die ich irritierend finde. Darauf hinzuweisen werde ich mir nicht verbieten lassen."

Frühzeitig auf Fehlentwicklungen hinweisen

Österreich sei eine stabile Demokratie, man müsse aber frühzeitig auf Fehlentwicklungen hinweisen. "Ungarn war nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf dem Weg, eine pluralistische Demokratie zu werden, heute wird man dort als Straftäter stigmatisiert, wenn man Menschenrechte verteidigt", meinte Kern. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und der italienische Innenminister Matteo Salvini interessiere Menschenrechtskonvention und Genfer Flüchtlingskonvention nicht. "Die Regierungsspitze sagt, das brauchen wir nicht mehr. Das ist neu und ein Problem. Als Kanzler ist man dem Rechtsstaat verpflichtet."

Die pro-europäischere Tonalität, die Kurz bei seinem Auftritt beim Forum Alpbach an den Tag gelegt hat, nimmt Kern dem Kanzler nicht ganz ab. "Das ist ganz klar eine Taktik, aber ich will ihn gerne beim Wort nehmen." Die großen Fragen in der EU sind für Kern eine europäische Asyllösung, Steuergerechtigkeit und die Vermeidung von Sozialdumping. "Wenn der Bundeskanzler pro-europäisch auftritt, erwarten wir, dass er hier zu Lösungen beiträgt. Bisher hab ich aber keinen großen Fortschritt erlebt."

Keine Quereinsteiger bei EU-Wahl

Auf die genannten Themen werde die Sozialdemokratie auch in der Kampagne für die EU-Wahl Ende Mai setzen. "Europa darf nicht nur ein Binnenmarkt sein, der Wohlstand muss auch bei den Menschen ankommen." Dass es die Sozialdemokratie bei der Europawahl wegen des schlechten Zustands mancher SPÖ-Schwesterpartei zerbröseln könnte, glaubt Kern nicht. "Einen Erdrutschsieg erwarte ich nicht. Aber es gibt auch wieder Lichtblicke wie in Spanien. Es gibt Aufs und Abs. Die sozialdemokratische Antwort wird eine des sozialen Ausgleichs sein."

Die SPÖ wird Anfang Dezember über ihren Spitzenkandidaten entscheiden. Experimente mit Quereinsteigern wird es dieses Mal laut Kern nicht geben. "Wir werden ganz klar auf Kompetenz setzen. Unsere Abgeordneten im EU-Parlament haben einen exzellenten Ruf, und wir haben auch im Parlament und in den Bundesländern gute Außen- und Europapolitiker. Aus diesem Pool werden wir schöpfen." Kern erwartet eine harte Auseinandersetzung mit ÖVP und FPÖ. "Die einen spielen Pro-Europäer, und die anderen werden massiv antieuropäisch auftreten." Bei der ÖVP rechnet er mit einem Spitzenkandidaten Othmar Karas - "eine integre Person, aber er wird nur das Feigenblatt für eine antieuropäische Politik der ÖVP und der Regierung sein".

"Integration vor Zuwanderung" Motto für SPÖ-Migrationspapier

In der finalen Phase befindet sich laut Kern die Erstellung des SPÖ-Papiers zur Migration. Der Schwerpunkt werde dabei beim Integrationsthema liegen. "Das ist die Herausforderung der Zeit. Die Zahl der Asylanträge geht zurück. Jetzt geht es darum, wie organisieren wir das Zusammenleben in Österreich. Integration vor Zuwanderung ist das, was dann als Gesamtmotto drübersteht." Ihm sei wichtig, dass es aber auch andere Herausforderungen gibt. "Klima, Hitze, Dürre - die Zahl der Hitzetoten ist mittlerweile höher als die der Verkehrstoten. Eine soziale Bewegung muss dieses Thema besetzen." Entscheidend sei auch, den Technologiewandel sozialdemokratisch zu gestalten. "Das wird die größte Umverteilung in der Geschichte der Menschheit."

Dazu komme die europäische Frage. "Trump ist eine höchst problematische Figur, aber was er mit der mexikanischen Automobilindustrie vereinbart hat, kann sich Europa zum Vorbild nehmen. Rund Hälfte der Autos, die ihr produziert, muss mit einem Mindestlohn von mindestens 16 Dollar pro Stunde passieren. Das wollen wir auch von einer aktiven Handelspolitik Europas: Wenn Du mit uns handeln willst, vergiftest du nicht die Umwelt, und es gibt es keine Kinderarbeit. Da müssen wir selbstbewusster auftreten. Das sind die großen sozialdemokratischen Themen und eines davon ist auch die Migration."

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