Kanzler will sich klar von 'reißerischem Populismus' abgrenzen.
Jenen Kurs, der einst die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu politischen Höhenflügen geführt hat, legt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nun Europas Konservativen nahe. Angesichts des Aufstiegs des "simplen Populismus" brauche es "heute, mehr denn je, eine starke Europäische Volkspartei - eine starke Kraft der Mitte", sagte Kurz am Donnerstag beim EVP-Kongress in Helsinki.
Spitzenkandidaten-Wahl
758 Delegierte aus allen EU-Staaten sind in der finnischen Hauptstadt zusammengekommen, um den Spitzenkandidaten für die Europawahl im kommenden Mai zu wählen. Zugleich wollte die führende politische Kraft Europas, die derzeit die Spitzenposten im Europaparlament, der EU-Kommission und dem Europäischen Rat besetzt, auch inhaltliche Pflöcke für den Wahlkampf einschlagen. Parallel zur Wahl, die um 10.30 Uhr Ortszeit (9.30 Uhr MESZ) beginnen sollte, waren Reden von EVP-Spitzenvertretern, darunter Kurz, angesetzt.
Der Bundeskanzler grenzte sich laut einem im Voraus übermittelten Redetext demonstrativ von populistischer Politik ab. Zwar seien globale Herausforderungen wie der Handelsstreit mit den USA, die illegalen Migrationsströme oder die rasante Entwicklung der Wirtschaft ein Quell der Verunsicherung für die Bürger, doch lasse sich die Veränderung nicht durch reißerische Parolen aufhalten, sondern nur durch vorausschauende Politik gestalten, sagte der ÖVP-Chef.
Gegen reißerischen Populismus
"Wir wollen dem reißerischen Populismus einen konstruktiven Optimismus entgegenstellen", gab der Kanzler als Parole aus. "Wir wollen unsere Europäische Union den Menschen zurückgeben." Inhaltlich nannte er drei Schwerpunkte: die Rechtsstaatlichkeit, die Sicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit.
Ohne Ungarn und Italien zu nennen, positionierte sich Kurz klar gegen die umstrittene Politik der beiden großen EU-Sorgenkinder. Der Rechtsstaat sei der entscheidende Grundpfeiler für Gerechtigkeit, Freiheit und Wohlstand, betonte der ÖVP-Chef. "Wir können daher bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit keine Abstriche zulassen und keine Kompromisse eingehen - weder in unserer eigenen Parteienfamilie, noch in den Reihen anderer Mitgliedsstaaten", sagte er in Anspielung auf den ungarischen Premier Viktor Orban, aber auch umstrittene Regierungen anderer EU-Staaten wie Rumänien oder die Slowakei.
Kritik an Italien
Scharf bezog er auch gegen das derzeit von der italienischen Regierung betriebene Defizit-Spending Stellung. Ein "bewusstes Verstoßen gegen gemeinsame Grundsätze ist nicht zu akzeptieren", pochte Kurz auf die Einhaltung der Maastrich-Defizitkriterien. "Diese kurzsichtige Politik bedroht nicht nur unsere europäische Solidarität, sondern macht den Menschen auch falsche Hoffnungen. Wenn wir Geld verteilen, das wir nicht haben, verspielen wir langfristigen Aufschwung, und riskieren gar eine neue Krise. Hier müssen wir entschieden entgegentreten. Mit den Rechten einer EU-Mitgliedschaft kommen auch bestimmte Pflichten - das eine wird ohne das andere nicht haltbar sein."
"Unser erklärtes Ziel muss es sein, die kommende Europawahl 2019 klar zu gewinnen, den neuen Kommissionspräsidenten zu stellen, und unseren Kurs für Europa fortzusetzen", betonte Kurz. EVP-Fraktionschef Manfred Weber sei "dafür genau der richtige Mann", bekräftigte der Kanzler die Unterstützung der 16-köpfigen ÖVP-Delegation beim Kongress für den deutschen Christsozialen.
Kurz äußerte sich aber auch anerkennend über Webers Gegenkandidaten, den finnischen Ex-Premier Alexander Stubb. "Du bist ein großartiger Europäer. Wir können uns als EVP nur glücklich schätzen, in unseren Reihen so viele talentierte Politiker, und somit die Qual der Wahl, zu haben."
Harmonische Debatte
Vor österreichischen Journalisten hatte sich Kurz zuvor klar zum umstrittenen Spitzenkandidaten-System bekannt. Er sei dafür, "dass derjenige, der eine Partei in die Wahl führt, und das stärkste Ergebnis erzielt bei der Europawahl, auch die nächste Kommission anführen sollte". Vor allem in den Reihen der EU-Liberalen, die bisher keinen Topjob in der Europäischen Union besetzen, regt sich Widerstand gegen diesen Automatismus. So sagte etwa der liberale slowenische Außenminister Miro Cerar im APA-Gespräch, es sei "nicht im demokratischen Interesse", wenn eine Partei wie derzeit die EVP "alle Schlüsselfunktionen" in der Union besetze.
Weber und Stubb hatten sich am Mittwochabend vor den Delegierten eine betont harmonische Debatte geliefert, in der sie einander für den fairen Wahlkampf dankten und ihre inhaltliche Übereinstimmung unterstrichen. Während Weber mit Sachlichkeit zu punkten versuchte, unterhielt der polyglotte Stubb die Zuhörer mit knackigen Sagern, etwa als er den Brexit als größte Farce der Geschichte bezeichnete. "Die Europäische Union zu verlassen ist so, als würde man das Internet verlassen. Man kann es tun, aber es ist dumm", so der finnische Ex-Premier. Den größten Applaus im Saal heimste er freilich mit der Ankündigung ein, dass er sich bei einer Niederlage zu "100 Prozent" hinter Weber stellen werde. "Egal wen ihr wählt, am Ende werden wir einen großartigen Kandidaten haben", so Stubb in einer Aussage, die weithin als vorgezogenes Eingeständnis der Niederlage gewertet wurde.