Der Grüne will aufklären, warum die Politik den Fall "vertuscht" hat.
Peter Pilz schreibt an einem Enthüllungsbuch zum Fall Natascha. „Ich habe die meisten Recherchen abgeschlossen, an die 100 Seiten schon geschrieben, wollte das Buch eigentlich im Herbst herausbringen“, sagt der Grün-Politiker. „Aber dann kam der Spitzel-U-Ausschuss dazwischen, deshalb wird das Buch bis Frühjahr 2010 brauchen.“
Viel vertuscht
Pilz hat Hunderte Akten gesichtet und ist
überzeugt: „Es handelt sich hier um einen der größten Vertuschungsfälle der
Zweiten Republik.“ Der Grüne: „Mich interessiert der politische
Hintergrund. Warum wurde die Aufklärung des Falles im Ministerium
unterbunden? Warum wurde so viel vertuscht?“ Pilz: „Wichtig ist mir die
politische Dimension des Falles – die Privatsphäre von Frau Kampusch werde
ich in Absprache mit ihren Anwälten schützen.“
Trotzdem sagt auch Pilz: „Fest steht, dass die Natascha-Geschichte, die bis heute erzählt wurde, so nicht aufrechterhalten werden kann. Das Bild, das es derzeit vom Fall Kampusch gibt, ist mit Sicherheit nicht vollständig.“
Kritik an Adamovich
Pilz übt harte Kritik an der
Adamovich-Kommission: „Diese ist ein ziemlicher Schmarren, weil sie die
politische Dimension des Falles völlig falsch bewertet. Der gute Herr
Adamovich spekuliert wild herum, verursacht beim Opfer mit seinen Thesen
Angst und Schmerzen – und geht mit überzogenen Spekulationen an die
Öffentlichkeit, ohne zu überlegen, welchen Schaden er anrichtet.“ Pilz: „Es
geht nicht darum, ob Natascha alles erzählt hat – sondern warum die Politik
ihren Fall vertuscht hat!“
Offene Fragen
Die Kommission unter Ex-Höchstrichter Ludwig
Adamovich hat die Ermittlungsakten eingesehen und daraus den Schluss
gezogen, dass der Fall dringend einer Aufklärung bedarf. Ein Mitglied
der Kommission nennt gegenüber ÖSTERREICH jene offenen Punkte, die dringend
klärungsbedürftig sind:
- Entführung Laut Meinung der Kommission ist die eigentliche Entführung von Natascha am Morgen des 2. März 1998 noch nicht geklärt. Erstens besteht der Verdacht, dass Wolfgang Priklopil sein Opfer nicht zufällig entführt, sondern zuvor ganz genau ausgewählt, vielleicht sogar persönlich gekannt hat. Zweitens legen Zeugenaussagen nahe, dass Priklopil bei der Entführung zumindest von einer weiteren Person als „Helfer“ begleitet wurde.
- Mutter-Beziehung Seitenweise finden sich in den Akten Aussagen, die das Verhältnis von Natascha zu ihrer Mutter betreffen. Fast alle Aussagen behaupten, dass das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter gestört war. Es gibt Akten, in denen der Verdacht in Richtung Kinderpornografie und Missbrauch geäußert wird.
- Der Täter Aus mehreren Aussagen im Akt geht hervor, dass Wolfgang Priklopil seit 1994 – also schon vier Jahre vor Nataschas Entführung – im Bereich der Kinderpornografie engagiert war und zeitweise auch Kontakte zu einem Kinderporno-Ring gehabt haben dürfte. Er hatte aktive Kontakte und Mitwisser – auch im Freundeskreis.
- Das Verlies Ungeklärt ist in den Akten, wie lange Natascha wirklich im „Verlies“ gelebt hat. Mehrere Aussagen legen den Schluss nahe, dass Natascha bald in die oberen Stockwerke zu Priklopil gezogen ist und mit ihm dort in einer Art „Lebensgemeinschaft“ gelebt hat. In dieser „Lebensgemeinschaft“ hat es offenbar mehrere Zeugen und Mitwisser gegeben.
- Der beste Freund Zumindest ein Freund hat Priklopil mit Natascha – angeblich „nur einmal“ – getroffen. Arbeits- und Privatsituation lassen vielmehr „zahlreiche“ Kontakte vermuten. Die Befragung des engsten Priklopil-Freundes wirkt laut Kommission „extrem fehler- und lückenhaft“.
- Die Mitwisser Unzählige Zeugenaussagen deuten auf „mehrere“ Mitwisser und möglicherweise Mittäter bei Entführung und späterem „Zusammenleben“ von Opfer und Täter hin.
- Das Zerwürfnis Im Akt sind mehrere höchst private Details enthalten, die die Flucht von Natascha aus der erzwungenen Beziehung in einem neuen Licht erscheinen lassen. Danach gab es zwischen Opfer und Täter mehrere Jahre eine - psychologisch schwer erklärbare - Lebensbeziehung, in der schließlich mehrere Zerwürfnisse zum Ausbruch und zur Flucht führten. Das erklärt auch die besondere Verschwiegenheit und Verschlossenheit von Frau Kampusch, macht aber die Aufklärung schwierig.
- Die neuen Ermittlungen Fest steht, dass die Behörden bei neuen Ermittlungen viele Themenkreise neu untersuchen und befragen müssen: Die Vorgeschichte zur Entführung - hat sich Priklopil in Natascha Kampuschs Umfeld bewegt? Sein Leben vor der Entführung - war er (mit Freunden) Teil der Kinderporno-Szene. Gab es Mitwisser (vielleicht sogar Mittäter) seines Kinderporno-Engagements? Die Frage der Entführung - und wer dabei geholfen hat. Die Kontakte zu seinen Freunden - insbesondere zu seinem engsten Freund und Arbeitskollegen.