Das sagt ÖSTERREICH

Wie Sie heute wählen können: Taktisch, wütend oder mit Herz

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Ein Kommentar zur Nationalratswahl von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.

Heute sind endlich Sie dran, geschätzte Leserinnen und Leser, um am Ende eines völlig aus 
den Fugen geratenen Marathon-Wahlkampfs ihre Stimme abzugeben. Mit höchster Wahrscheinlichkeit wird es die Stimme für einen Neustart nach Ibiza-Video, Spendenskandalen und Strache-Drama. Unser Land muss sich ab morgen neu aufstellen – Sie bestimmen heute wie.

So schwierig wie selten zuvor ist die Frage zu beantworten, wem man/frau heute seine Stimme geben soll. Wählen Sie mit Herz, mit Wut, mit Verstand, mit Taktik? Hier ist ein Guide, was Ihre Stimme heute bedeutet – und was sie bewirken wird:

Wer Sebastian Kurz wählt, der wählt ganz gezielt den Kanzler – und entscheidet, wie stark er wird. Für Kurz macht das Wahlergebnis heute einen Riesen­unterschied: Kommt er auf über 37 % wird er wohl ein Kanzler so stark wie einst Kreisky – und wird dieses Land und die EU prägen. Bleibt er zwischen 33 und 36 %, wird sich Kurz in schwierigen Koalitionsverhandlungen erst beweisen müssen. Und fällt er unter 33 %, dann wird Kurz parteiintern unter Druck kommen, dann beginnt die Kurz-Dämmerung. Wer einen „starken“ Kurz haben will, der muss ihn wohl auch wählen.

Wer Norbert Hofer weiter in der Regierung und damit ein „Türkis-Blau 2“ haben will, der wird seine Stimme der FPÖ geben müssen. Nach dem Strache-Spesenskandal droht den Blauen ein Debakel. Jedes Ergebnis über 20 % wäre eine Sensation, ein ­Ergebnis, das die FPÖ vor die SPÖ auf Platz 2 bringen würde, müsste wohl auch Kurz als klares Wählervotum für „Türkis-Blau 2“ und als „Hofer-Wunder“ akzeptieren. Dann wird Hofer als starker Mann in der FPÖ für die Regierung wieder attraktiv – und Österreich würde auf strammem Rechtskurs bleiben.

Wer heute Rendi-Wagner wählt, der verhilft der lange maroden SPÖ zu einem Neustart – sowohl in der Regierung als auch parteiintern. Die rote Pamela ist erst im Wahlkampf-Endspurt „auf Temperatur“ gekommen – doch ihr Finish war beachtlich. Sie wurde zur engagiertesten Kämpferin bei dieser Wahl – mit Herz, Löwen-Einsatz, vielen spannenden Inhalten (zum Beispiel dem 3-Euro-Öffi-Ticket). Die Stimmung beim Wahlkampffinale der totgesagten SPÖ war so ­euphorisch wie in besten Vranitzky-Zeiten. Und tatsächlich könnte Pamela nicht nur eine spannende Vizekanzlerin, sondern auch eine erfolgreiche neue SPÖ-Vorsitzende werden.

Wer Werner Kogler die Stimme gibt, der gibt sie auf jeden Fall dem – moralischen – Sieger dieser Wahl. Mit der Dringlichkeit einer neuen Umweltpolitik, der Euphorie der „Fridays For Future“-Demo am Freitag und der Wut über alle Skandale werden Koglers Grüne deutlich über 10 % kommen. Jede Stimme mehr bringt die Grünen eher in die Regierung – doch nicht alle Grün-Wähler wollen das.

Wer die Grünen nicht über­mütig und zu „regierungsgeil“ machen will, der kann seine Stimme im Finish Peter Pilz spenden, damit der im Parlament noch für Kon­trolle sorgen kann.

Ihre Stimme heute wird also zur Richtungsentscheidung:

Mein Gefühl spricht dafür, dass Sebastian Kurz das hoch-­riskante „türkis-grüne“ Experiment wagen will. Als Koalition neuen Stils, als klares Bekenntnis zu einer neuen Umweltpolitik, als Neustart für eine saubere Politik, aber auch als Vorbild für ­Europa: „Let’s go green!“

Meine Logik sagt mir, dass die Regierungsverhandlungen mit den Grünen (vor allem, wenn auch noch die Neos als „Dreier“ mitspielen) enorm schwierig werden – und deshalb die Große Koalition mit der SPÖ aktuell wird. Mit einer menschlichen ­Vizekanzlerin Rendi, mit sozialen Korrekturen – vor allem mit Stabilität. Denn eines kann Kurz nicht brauchen: Den nächsten Regierungscrash in kurzer Zeit.

Und meine Erfahrung als gelernter Österreicher sagt mir, dass Kurz – nach langen Verhandlungen – vielleicht doch zur „ersten Liebe“ Norbert Hofer zurückkehrt. Wenn Hofer seine FPÖ säubert, Kickl ruhigstellt, Strache entsorgt, wird er vielleicht doch noch zum bequemsten Koalitionspartner für Kurz. Ohne Streit, mit klarer Rechts-Mitte-Positionierung – aber halt immer mit dem Risiko, dass die nächste blaue Bombe die Regierung neuerlich sprengt.

Das alles könnten Sie heute bei der Stimmabgabe im Kopf haben. Man kann deshalb heute taktisch wählen, man kann wütend wählen – aber am besten ist: Sie wählen mit dem Herzen.

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