03. April 2008 08:52
Bauchschmerzen werden zu Darmkrebs und ein leichter Husten zur
Lungenentzündung: Hypochonder, die sich in Webportalen gesundheitlichen Rat
suchen, leiden Todesängste. Die zahlreichen Krankengeschichten aus der
Gerüchteküche des Internets hinterlassen bei vielen ein mulmiges Gefühl. Und
wer ohnehin zum eingebildeten krank sein neigt, fühlt sich nach einem
Gesundheitscheck im Netz schnell schlechter als zuvor.
Niedrige Hemmschwelle
"Das Internet ist oft die erste
Anlaufstelle für Menschen mit Krankheitsängsten - die Hemmschwelle ist hier
einfach niedriger", sagt die Psychologin Gaby Bleichhardt, die an der
Mainzer Universität zu dem Thema forscht. Die Gefahr sei dabei, dass sich im
Netz zu jedem Symptom gleich eine passende Krankheit als Erklärung finden
lasse. "Dadurch verschlimmert das Internet die Ängste der Betroffenen
oft noch." Hypochonder erhielten so im Handumdrehen passende Belege für
ihren Krankheitsverdacht: Bauchschmerzen deuten dann auf ein Magengeschwür
hin, und ein Kribbeln in den Fingern wird zum ersten Anzeichen von Multipler
Sklerose.
Eingebildete Kranke
Das Web ist dabei nicht nur die perfekte
Fundgrube für Hypochonder, manchen macht es erst zum eingebildeten Kranken.
So könnten die vielen Krankheitsgeschichten im Netz auch Ängste bei Menschen
wecken, die sich bisher keine übermäßigen Gedanken über ihre Gesundheit
machten, sagt Bleichhardt. Das beobachtet auch Detlev Nutzinger, der in
einer Klinik in Bad Bramstedt Betroffene behandelt. "Das Problem ist
ja, dass Laien zwar unglaublich viele medizinische Informationen im Netz
bekommen, ihren Wahrheitsgehalt aber kaum einschätzen können. Das
verunsichert viele."
Cyberchondrie
US-Forscher wie Brian Fallon von der Columbia
Universität in New York haben für dieses Phänomen schon ein neues Fachwort
erfunden: die "Cyberchondrie". Seinen Studien zufolge ist der
Hypochonder von heute meist ein "Cyberchonder" - Betroffene tun
nichts anderes mehr, als im Internet ihre Symptome zu prüfen. Jörn Schäller
kann das bestätigen: "Das ist quasi eine unendliche Spirale. Ohne
die nötige Disziplin, den PC rechtzeitig auszuschalten, kann das schnell zur
Sucht werden."
Selbsthilfegruppen
Der 35-Jährige, der in Hamburg eine
Hypochonder-Selbsthilfegruppe gegründet hat, ist mit seinem Problem nicht
allein. Laut Bleichhardt leiden schätzungsweise rund sieben Prozent der
Deutschen unter Krankheitsängsten, betroffen ist also jeder 14. Bürger. Laut
einer Studie der Weltgesundheitsorganisation ist das Phänomen weltweit
betrachtet in Deutschland besonders weit verbreitet - nicht zuletzt der
Komiker Harald Schmidt gilt als bekennender Hypochonder.
Bitterer Ernst
Das klingt für manchen amüsant, ist für
Betroffene oft aber bitterer Ernst. Denn Hypochonder seien keine Simulanten,
erklärt Nutzinger. "Die Betroffenen haben messbare Schmerzen."
Oft führe die Furcht Patienten sogar in einen Teufelskreis: "Die
Angst vor einer Krankheit verschlimmert die Symptome dann tatsächlich."
Hypochonder macht ihre Panik vor dem Kranksein also häufig wirklich krank.
Ein solches Leiden habe dann oft schlimme Folgen im Alltag: So bleiben Beruf
und Familie bei Betroffenen oft auf der Strecke, weil sich für sie alles nur
noch um die eigene Gesundheit dreht.
Medizin-Portale schuld?
Betreiber von Medizin-Portalen weisen
die Schuld von sich: "Wir wollen Menschen keine Angst machen - es geht
darum, mögliche Symptome und Krankheiten besser verständlich zu machen",
sagte Katharina Larisch von "Netdoktor.de" in München. Allerdings
sollten Surfer nicht alles glauben, was sie im Internet an
Krankheitsgeschichten lesen. "Vorschnelle Diagnosen wie Durchfall plus
Bauchschmerzen gleich Darmkrebs sind natürlich Unsinn."
Wann ist es krankhaft?
Zudem ist laut Bleichhardt nicht jeder
gleich ein Hypochonder, der aus Sorge über eine mögliche Erkrankung im Netz
nach einem Symptom sucht. "Denn Angst vor Krankheiten hat wohl jeder -
krankhaft wird diese Angst aber erst, wenn sie Betroffene über einen
Zeitraum von mindestens einem halben Jahr ständig beschäftigt."